Nationale Strategie gegen Antisemitismus: Breite Mehrheit im Verfassungsausschuss
Abgeordnete debattieren außerdem Parteienfinanzierung und Meinungsfreiheit auf Plattformen
Wien (PK) – 38 operative Maßnahmen zur Zielerreichung beim Kampf gegen Antisemitismus nennt die österreichische Bundesregierung in ihrer Nationalen Strategie zur Verhütung und Bekämpfung aller Formen von Antisemitismus, die heute im Verfassungsausschuss erörtert und mit breiter Mehrheit zur Kenntnis genommen wurde. Einzig die FPÖ sprach sich dagegen aus: Trotz 100%iger Zustimmung zum Konsens gegen Antisemitismus werden aus ihrer Sicht in der Strategie zu sehr die Themen vermengt, etwa im Hinblick auf „Anti-Corona-Demonstrationen“ und Antisemitismusvorfälle.
Darüber hinaus debattierten die Abgeordneten über von NEOS vorgeschlagene Änderungen zur Parteienfinanzierung, die allerdings mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt wurden. Vertagt wurden auch weitere Forderungen der Opposition, etwa der SPÖ nach einem unabhängigen Bundesstaatsanwalt. Zwei Anträge der FPÖ zur Meinungsfreiheit auf Kommunikationsplattformen lehnten die Abgeordneten mit den Stimmen von ÖVP, Grünen und NEOS ab.
Nationale Strategie gegen Antisemitismus
Der Kampf gegen den Antisemitismus ist für die österreichische Bundesregierung ein Beitrag zur Stärkung und zum Schutz der demokratischen Werte und Grundrechte in Europa. Das betonen Bundeskanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Werner Kogler und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler in ihren Ausführungen zur Nationalen Strategie zur Verhütung und Bekämpfung aller Formen von Antisemitismus (III-256 d.B.). Die VertreterInnen der Bundesregierung verstehen diesen Kampf auch als Teil der aktiven Zukunftsgestaltung.
Die Strategie basiert auf einem ganzheitlichen Ansatz und umfasst die Bereiche Bildung und Ausbildung, Forschung, Sicherheit und Justiz ebenso wie die Integration und die Zivilgesellschaft. Der Bericht umreißt dabei die Ausgangslage und aktuelle Situation in diesen Bereichen. Er führt insgesamt 38 Einzelmaßnahmen an, mit dem das Ziel der Verhütung und Bekämpfung aller Formen von Antisemitismus in Österreich erreicht werden soll.
Jüdinnen und Juden sowie jüdische Gemeinschaften und Einrichtungen sind nach wie vor antisemitischen Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt, wie auch jüngste Ereignisse wieder gezeigt haben. Ihrem Schutz wird daher von der Bundesregierung hohe Bedeutung zugemessen.
Darüber hinaus werden im Bericht die rechtlichen Herausforderungen -vor allem grenzüberschreitend – bei Antisemitismus und Hassdelikten thematisiert. Im Integrationsbereich stelle neben der Tatsache, dass auch unter ZuwanderInnen antisemitische Stereotype anzutreffen sind, vor allem der Islamismus ein Problem dar. Vor diesem Hintergrund sei es besonders wichtig, dass die Werte- und Orientierungskurse des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) für Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte sich auch mit dem Abbau antisemitischer Vorurteile beschäftigen. Der Bericht wurde mit breiter Mehrheit zur Kenntnis genommen. Einstimmig beschlossen die Abgeordneten dazu, dass der Bericht auch öffentlich im Plenum diskutiert werden soll.
Seitens der FPÖ betonte Harald Stefan, seine Fraktion trage den nationalen Konsens gegen Antisemitismus zu 100 Prozent mit. Seine Kritik wende sich gegen eine Vermischung der Themen, etwa im Hinblick auf „Anti-Corona-Demos“, aber auch zum Thema Hasskriminalität. Auch, dass das Gesetz für digitale Plattformen mit in die Strategie vermengt sei, konterkariere die Unterstützung jüdischen Lebens. Nikolaus Scherak (NEOS) warf ebenso wie Thomas Drozda (SPÖ) das Thema des ideologischen Hintergrunds auf, der sich prozentuell stark verändert habe.
Martin Engelberg (ÖVP) entgegnete auf entsprechende Vorwürfe seitens Stefan, dass es nicht darum gehe, im Hinblick auf jüngste Vorfälle -mit Vergleichen mit dem Davidstern und Corona-Impfungen – alle Teilnehmenden an besagter Demonstration hineinzuziehen, sondern im Gegenteil darum, nicht den geringsten Zweifel daran zu lassen, dass der nationale Konsens gegen Antisemitismus besteht. Drozda unterstrich, die Maßnahmen der Strategie würden sich genau darauf beziehen, dort hinzusehen, wo Dinge relativiert und verharmlost würden, und dort als Problem benannt, wo es beginne.
Bundesministerin Karoline Edtstadler hob zum einen hervor, dass Österreich als einer der ersten EU-Mitgliedstaaten diese nationale Strategie auf den Tisch legen konnte, was Vorbildwirkung und Verantwortung bedeute. Die 38 Maßnahmen seien erst der Anfang, nannte die Ministerin einige Punkte wie die Ausarbeitung eines Zentrums für Antisemitismusforschung sowie im Strafverfahren das „Markieren“ von Antisemitismus-Vorfällen, aber auch ein Handbuch im Kontext mit Integration und die Überarbeitung von Lehrunterlagen im Bereich des Innenministeriums.
Es gelte, den Weg gegen Antisemitismus gesamtgesellschaftlich und über die Parteigrenzen hinweg zu gehen. So erörterte Edtstadler etwa gegenüber Eva Blimlinger (Grüne), dass die Koordinierungsstelle im BKA bereits eingerichtet worden sei bzw. derzeit auch die Plattform zwischen Bund, Ländern und Gemeinden eingerichtet werde.
Was das Thema Corona-Demonstrationen betreffe, könne sie zwar verstehen, wenn Menschen die Pandemie-Einschränkungen „satt“ haben. Es brauche hier aber eine klare Abgrenzung, wenn jemand antisemitisch auftrete, sowie eine entsprechende Sensibilisierung, die mit der Strategie auch angestrebt werde. So gehe es hier auch darum, demonstrierende Menschen darauf aufmerksam zu machen, wer im „Windschatten“ dabei ist.
Was den gemeinsamen Zugang auf europäischer Ebene betrifft, berichtete Edtstadler etwa von einer intensiven Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission, die die Entwicklungen in den Staaten beobachte, um möglicherweise eine Gesamtstrategie gegen Antisemitismus vorzulegen. Auch zu einem europäischen Verbotsgesetz, das es bisher nicht gebe, werde es einen Austausch geben.
FPÖ will „mittelbare Zensur“ unterbinden und Meinungsvielfalt auf großen Kommunikationsplattformen sicherstellen
Die FPÖ hat in Reaktion auf das vom Nationalrat beschlossene Kommunikationsplattformen-Gesetz und die damit verbundenen Auflagen für Kommunikationsplattformen eine Änderung des Staatsgrundgesetzes beantragt (1179/A). Demnach soll der Bestimmung, dass „jedermann“ das Recht hat, „durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern“, ein Satz angefügt werden, wonach die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Meinungsäußerungen ausschließlich ordentlichen Gerichten obliegt. Dieser Antrag blieb gegen die Stimmen von FPÖ und SPÖ in der Minderheit und wurde abgelehnt.
FPÖ-Abgeordnete Susanne Fürst will mit dieser Verfassungsbestimmung die gesetzlich verankerte Verpflichtung größerer Kommunikationsplattformen, rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden bzw. sieben Tagen zu löschen, aushebeln. Es sei problematisch, dass juristisch nicht ausreichend qualifiziertes Personal, das womöglich auch noch in Callcentern im Ausland arbeite, darüber entscheide, was zu löschen sei und was nicht, argumentiert sie. Außerdem befürchtet Fürst, dass im Zweifelsfall zu viel gelöscht werden könnte, was einer mittelbaren staatlichen Zensur gleichkomme und die Meinungsfreiheit einschränke.
In eine damit zusammenhängende Richtung zielt der FPÖ-Entschließungsantrag zur Sicherstellung der Meinungsvielfalt auf großen Kommunikationsplattformen ab, der ebenso abgelehnt wurde (1257/A(E)). Sollten Plattformen rechtskonforme Beiträge oder Benutzerkonten sperren, drängt die FPÖ auf Strafen von bis zu 15 Mio. €. Mit dem beschlossenen Kommunikationsplattformen-Gesetz werde das „Kind mit dem Bade ausgeschüttet“, kritisierte Fürst, zumal zu weit in die Meinungsäußerungsfreiheit eingegriffen werde.
Demgegenüber argumentierte Martin Engelberg (ÖVP), auf der heiklen Gratwanderung der Reglementierung sei man mit dem Kommunikationsplattformen-Gesetz auf einem richtigen Weg. Agnes Sirkka Prammer (Grüne) erläuterte, man habe sich dabei für den Weg entschieden, Opferschutz als oberste Prämisse zu sehen. Wo genau in dieser Thematik die Grenzen sind, werde auch die zukünftige Rechtsprechung zeigen.
Christian Drobits (SPÖ) sprach sich unter anderem für einen sorgsamen Umgang mit dem Staatsgrundgesetz aus. Nikolaus Scherak (NEOS) schloss sich dem an. Er hält das Kommunikationsplattformen-Gesetz „alles andere als für die richtige Lösung“, kann aber auch Strafdrohungen von bis zu 15 Mio. € laut dem FPÖ-Antrag nichts abgewinnen.
Das Kommunikationsplattformen-Gesetz soll Opfern helfen, wenn gegen ganz bestimmte Strafrechtsnormen verstoßen werde, erörterte Bundesministerin Karoline Edtstadler, was dann natürlich von JuristInnen zu prüfen sei. Zudem werde aber auch der Schutz vor „Overblocking“ eingeführt, samt einer Möglichkeit, sich an die Behörde zu wenden. Grundsätzlich gelte es, weiter darüber zu reden, wie Plattformen als Konzerne entscheiden, aber auch für die Zukunft zu regeln, dass der Zugang zu den Plattformen gegeben ist.
NEOS-Anträge zu Parteienfinanzierung und Spendenverbot
Die NEOS fordern bereits seit längerer Zeit neben einer Einführung neuer Straftatbestände für illegale Parteienfinanzierung (28/A) ein generelles Spendenverbot für Unternehmen, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist (34/A). Letzteres gilt derzeit nur für Unternehmen mit einer öffentlichen Beteiligung von mehr als 25%, die NEOS wollen diesen Prozentsatz auf 1% senken.
Mit einem weiteren Antrag wollen die NEOS Umgehungskonstruktionen zur Finanzierung von Parteien über Vereine unterbinden (455/A). Vereine, die Parteien, einzelnen Abgeordneten oder WahlwerberInnen Spenden zukommen lassen, sollen demnach nicht nur als parteinahe Organisationen gelten, sondern ihre Spenden bzw. Sachleistungen auch direkt dem Rechnungshof melden müssen. Dabei wäre auch anzugeben, woher der Verein die Mittel für die Zuwendung erhalten hat. Ebenso müssten SpenderInnen und SponsorInnen offengelegt werden. Für Vereine, die Zuwendungen an Parteien leisten, sollen außerdem die gleichen Regeln für unzulässige Spenden gelten wie für die Parteien selbst.
Die Anträge wurden mit den Stimmen von ÖVP und Grüne vertagt. Wolfgang Gerstl (ÖVP) und Agnes Sirkka Prammer (Grüne) verwiesen auf laufende intensive Gespräche zu diesem Thema mit dem Ansinnen, eine breit getragene, gemeinsame Vorgehensweise zu finden.
SPÖ-Forderung nach unabhängigem Bundesstaatsanwalt
Ebenfalls bereits eine Vorgeschichte hat das Anliegen der SPÖ, das Weisungsrecht des Justizministers gegenüber den staatsanwaltschaftlichen Behörden auf einen unabhängigen und weisungsfreien Bundesstaatsanwalt zu übertragen, der nur gegenüber dem Parlament rechenschaftspflichtig ist (383/A(E)). Dieser Bundesstaatsanwalt soll – ähnlich wie der Rechnungshofpräsident – vom Nationalrat für eine einmalige Amtsperiode von 12 Jahren gewählt werden, wobei der Wahl ein öffentliches Hearing im Hauptausschuss vorausgehen und bei der Wahl zumindest eine Zweidrittelmehrheit erforderlich sein soll. Diese Absicherung im Parlament ermögliche, dass die Wahl breit getragen wird, so SPÖ-Abgeordnete Selma Yildirim im Ausschuss.
Auch zu diesem Antrag gab es eine Vertagung mit der Mehrheit von ÖVP und Grünen. Bundesministerin Karoline Edtstadler betonte, der Antrag könne aktueller nicht sein, man stehe am Beginn von Verhandlungen in Bezug auf die Einführung eines solchen Amts. Die parlamentarische Kontrolle stelle ein wesentliches Element dar, hob Edtstadler ebenso wie Agnes Sirkka Prammer (Grüne) und Wolfgang Gerstl (ÖVP) hervor. Es gelte nun, gemeinsam über die Umsetzung nachzudenken. Harald Stefan (FPÖ) kann dem Konzept eines Bundesstaatsanwalts nichts abgewinnen, zumal entgegen einer Verwaltungsvereinfachung eine neue Behörde geschaffen werde und entsprechend der Mehrheitsverhältnisse immer ein politischer Abgleich bleiben werde. Auch Nikolaus Scherak (NEOS) gab sich „nicht ganz zuversichtlich“, was einen künftigen Wegfall der politischen Einflussnahme betrifft.
Opposition will GemeindebürgerInnen mehr Mitspracherechte einräumen
Eine gemeinsame Initiative von FPÖ, NEOS und SPÖ zielt darauf ab, GemeindebürgerInnen mehr Mitspracherechte in Gemeindeangelegenheiten einzuräumen und dadurch die direkte Demokratie zu stärken. Die Bundesregierung soll die notwendigen Rechtsgrundlagen dafür schaffen, damit Ergebnisse von Volksabstimmungen auf Gemeindeebene auch ohne Einbindung des Gemeinderats verbindliche Wirkung entfalten können, fordern die drei Oppositionsparteien in einem Entschließungsantrag (1080/A(E)). Er wurde mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt, um eine Stellungnahme der Bundesregierung abzuwarten, was den konkreten diesbezüglichen Anlassfall aus einer Vorarlberger Gemeinde betrifft. (Schluss Verfassungsausschuss) mbu
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