TIROLER TAGESZEITUNG “Leitartikel” Dienstag, 14. September 2021, von Michael Sprenger: “Zwischen Merkel und Lazarus”

Innsbruck, Wien (OTS) – Und was bedeutet dies alles für die SPÖ? In knapp zehn Tagen wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Und der am Boden liegende SPD könnte dank ihres Spitzenkandidaten Olaf Scholz eine spektakuläre Auferstehung gelingen.

Die SPÖ schaut dieser Tage gespannt nach Deutschland. Hoffnung keimt auf. Für einen Rückenwind aus Berlin? Jedenfalls bleibt Olaf Scholz auch nach dem zweiten Triell Favorit im Dreikampf um das Kanzleramt. Und das ist mit Blick auf die zurückliegenden Monaten eine Sensation. Die einst so stolze SPD lag in Umfragen abgeschlagen auf dem dritten Platz. CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet sah auf dem Weg ins Kanzleramt, um Nachfolger von Angela Merkel zu werden, einzig die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock als Gefahr. Jetzt ist alles anders.
Die lange bei 15 Prozent dahindümpelnde SPD ist drauf und dran, stimmenstärkste Partei zu werden. Und dies hat alles mit Olaf Scholz zu tun. Er richtete seine Partei auf und zog sie mit. Eine Auferstehung, die an Lazarus erinnert.
Die SPÖ schaut gespannt nach Deutschland. Sie hofft ebenso wie Sozialdemokraten anderswo in Europa, dass am Abend des 26. September im Willy-Brandt-Haus lauter Jubel aufbraust. Doch ist die Situation in Deutschland mit Österreich vergleichbar? Nein. Anders als hierzulande werden in Berlin die Karten neu gemischt. Angela Merkel tritt nach 16 Jahren als Kanzlerin von der politischen Bühne ab. Sebastian Kurz bleibt.
Kann man die Situation der SPÖ mit der SPD vergleichen? Ja, beide Parteien stagnierten zuletzt auf niedrigem Niveau, befanden oder befinden sich in einer Sinnkrise. Beide Parteien lassen auch beim jeweiligen Parteivorsitz Parallelen erkennen. Pamela Rendi-Wagner wurde beim Parteitag abgestraft – und damit geschwächt, das SPD-Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wird weitgehend versteckt. Sie setzten sich zwar bei der Wahl um den Vorsitz gegen Klara Geywitz und Olaf Scholz durch, aber Scholz führt jetzt die SPD in die Wahl. Und er ist unumstritten.
Also ein neuer Spitzenkandidat, eine neue Spitzenkandidatin bei der SPÖ? Diese Möglichkeit besteht immerzu. Deutschland zeigt, wie wichtig die Person an der Spitze ist: Wenn man sich die Auswahl des Kanzlerkandidaten bei der Union und der Kanzlerkandidatin bei den Grünen in puncto Stimmenmaximierung anschaut, dann sind Laschet und Baerbock (ob der Pannen) die falsche Wahl – und Scholz die richtige. Gut, Scholz ist keine Rampensau, eher langweilig, aber authentisch. Er bemüht sich, Fehler zu vermeiden und Merkel zu kopieren. Die Wahl hat er deshalb noch nicht gewonnen. Aber er ist auf dem besten Weg. Vor einem halben Jahr war dies undenkbar. Das ist vielleicht die zentrale Lehr­e, die die SPÖ für sich aus der Wahl ziehen kann. Es ist zumindest möglich.

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