Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte wird erleichtert

Sozialausschuss billigt Regierungsvorschlag mit den Stimmen von ÖVP, Grünen und NEOS

Wien (PK) – Um dem zunehmenden Fachkräftemangel in Österreich zu begegnen, wird der Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt mittels Rot-Weiß-Rot-Karte erleichtert. Ein entsprechender Gesetzentwurf der Regierung wurde heute vom Sozialausschuss des Nationalrats mit den Stimmen von ÖVP, Grünen und NEOS gebilligt. Demnach werden etwa die Zulassungskriterien, was Mindestentlohnung und Sprachkenntnisse betrifft, gelockert. Zudem sollen Stamm-Saisonniers künftig einen dauerhaften Arbeitsmarktzugang erhalten und das Bewilligungsverfahren beschleunigt werden. Angesichts des aktuellen Arbeitskräftemangels in Österreich seien diese Schritte wichtig, machten unter anderem ÖVP-Abgeordneter Klaus Fürlinger und Grün-Abgeordneter Georg Bürstmayr geltend.

Massive Kritik kommt hingegen von SPÖ und FPÖ: Sie befürchten, dass der Druck auf heimische Arbeitnehmer:innen weiter steigen wird. Die Novelle sei “ein kompletter Kniefall vor der Wirtschaft”, hielt etwa SPÖ-Abgeordnete Verena Nußbaum fest. Auch FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch sieht das ähnlich.

Von Seiten der Regierung wies Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher darauf hin, dass im Begutachtungsverfahren zahlreiche Stellungnahmen zur Gesetzesnovelle eingelangt sind. Insgesamt ist es seiner Meinung nach ein “gutes Paket” geworden. Die Bedenken der SPÖ und der FPÖ hält er angesichts des Umstands, dass es derzeit nur 5.300 aktive Rot-Weiß-Rot-Karten gibt, für unbegründet. Selbst wenn diese Zahl massiv steigen würde, hätte das wenig Einfluss auf heimische Beschäftigte, ist er überzeugt. Zumal im Vergleich dazu mittlerweile rund 7.000 Personen aus der Ukraine eine Arbeitsbewilligung hätten.

Keine Mehrheit fanden drei Anträge der Opposition, die mit der Regierungsvorlage mitverhandelt wurden: Sie wurden vertagt bzw. abgelehnt, wobei unter anderem eine eigene Rot-Weiß-Rot-Karte für Lehrlinge und das Vorziehen des angekündigten Pflegestipendiums zur Diskussion standen.

Zulassungskriterien für Rot-Weiß-Rot-Karte werden gelockert

Konkret wird laut Gesetzentwurf (1528 d.B.) künftig eine Mindestentlohnung von 50% der ASVG-Höchstbeitragsgrundlage (zuzüglich Sonderzahlungen) ausreichend sein, um Zugang zu einer Rot-Weiß-Rot-Karte zu erhalten. Das wäre für 2022 ein monatlicher Bruttolohn von 2.835 €. Derzeit gilt dies nur für jüngere Beschäftigte bis zu einem Alter von 30 Jahren. Für ältere Beschäftigte sind mindestens 60% der ASVG-Höchstbeitragsgrundlage zu zahlen. Außerdem wird die Mindestentlohnung für Absolvent:innen heimischer Universitäten und Fachhochschulen gänzlich beseitigt, ihr Entgelt muss aber dem ortsüblichen Gehalt inländischer Studienabsolvent:innen mit vergleichbarer Tätigkeit und Berufserfahrung entsprechen.

Weiters werden mit der Novelle Englischkenntnisse besser bewertet und Deutschkenntnissen gleichgestellt, sofern die Sprache im Unternehmen Englisch ist. Auch bei der Anerkennung der Berufserfahrung werden Verbesserungen vorgenommen. Sprachzeugnisse und andere Nachweise behalten ihre Gültigkeit länger und müssen während eines Verfahrens nicht neuerlich vorgelegt werden. Überdies kommt es zu Erleichterungen bei der Antragstellung für Familienangehörige. Hürden für ausländische Start-up-Gründer:innen werden durch die Senkung des notwendigen Stammkapitals von 50.000 € auf 30.000 € reduziert.

Eine neue Sonderregelung wird mit dem Gesetzentwurf für Projektmitarbeiter:innen geschaffen. Demnach sollen besonders qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittstaaten, die lediglich für die Durchführung zeitlich befristeter Projekte nach Österreich geholt werden sollen, eine befristete Beschäftigungsbewilligung für längstens sechs Monate erhalten. Gedacht ist dabei etwa an IT-Spezialist:innen, wie in den Erläuterungen angemerkt wird.

Dauerhafter Arbeitsmarkt-Zugang für Stamm-Saisonniers

Neu ist darüber hinaus ein dauerhafter Arbeitsmarktzugang für registrierte Stamm-Saisonniers, die zumindest zwei Jahre lang jeweils mehr als sieben Monate in Tourismusbetrieben oder in der Landwirtschaft Saisonarbeit geleistet haben, und zwar ungeachtet ihres Alters oder ihrer Qualifikation. Voraussetzung sind ausreichende Deutschkenntnisse auf A2-Niveau und das Angebot eines unbefristeten Arbeitsvertrags. Damit können etwa Saisonbetriebe, die auf Ganzjahresbetrieb umgestellt haben, ihre Stamm-Saisonarbeitskräfte in ein Dauerarbeitsverhältnis übernehmen, wird in den Erläuterungen festgehalten.

Da Kartenwerber:innen und Arbeitgeber:innen bei der Antragstellung und Abwicklung von Verfahren zur Erlangung einer Rot-Weiß-Rot-Karte derzeit oft überfordert sind, wie das Arbeitsministerium anmerkt, sollen sie sich künftig an eine eigens dafür eingerichtete Plattform der Austrian Business Agency (ABA) mit dem Namen “Work in Austria” wenden können. Diese soll mehrsprachige Information und gezielte Beratung sowie Unterstützung bei Antragsverfahren anbieten.

Adaptierte Regelungen für die “Blaue Karte EU”

Darüber hinaus wird mit dem Gesetzentwurf eine neue EU-Richtlinie umgesetzt, deren Ziel es ist, die innereuropäische Mobilität von hochqualifizierten Arbeitskräften aus Drittstaaten zu erweitern. Dabei geht es etwa um vereinfachte Behördenverfahren für Inhaber:innen einer sogenannten “Blauen Karte EU”, die ihren Arbeitgeber wechseln oder von einem anderen EU-Land nach Österreich ziehen wollen. Zudem wird für bestimmte hochqualifizierte Tätigkeiten in der Informations- und Kommunikationstechnologie künftig kein Hochschul- oder Fachhochschulabschluss mehr benötigt. Auch was die Gehaltsschwelle betrifft, haben sich die Vorgaben der EU geändert.

Schließlich hat der Ausschuss beschlossen, einen aus dem Jahr 2002 stammenden Gesetzespassus ersatzlos zu streichen, der privaten und gemeinnützigen Arbeitsvermittlungen die Vermittlung von Drittstaatsangehörigen nur in Ausnahmefällen erlaubt, etwa wenn die Betroffenen bereits einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Außerdem werden auf Anregung des Finanzministeriums die Befugnisse des Amts für Betrugsbekämpfung und seiner Organe auf gerichtlich strafbare Tatbestände im Bereich der Ausländerbeschäftigung erweitert.

ÖVP und Grüne begrüßen Novelle

Begrüßt wurde die Novelle unter anderem von den Abgeordneten Martina Diesner-Wais (ÖVP), Klaus Fürlinger (ÖVP) und Georg Bürstmayr (Grüne). Angesichts des aktuellen Arbeitskräftemangels sei es notwendig, qualifizierte Arbeitskräfte nach Österreich zu bringen, sagte Fürlinger. Die neue Regelung für Stamm-Saisonniers sei zudem für den Tourismus und die Landwirtschaft wichtig.

Zu den Bedenken der Opposition merkte Bürstmayr an, die FPÖ verkenne die Intention der Rot-Weiß-Rot-Karte. Es gehe um Schlüsselkräfte und Mangelberufe. Auch wenn die Zahl der Arbeitslosen immer noch im sechsstelligen Bereich liege, ändere das nichts daran, dass es einen Mangel an Facharbeiter:innen gebe und Unternehmen Schlüsselkräfte nicht besetzen könnten. Lohndumping sei nicht zu befürchten, ist er überzeugt. Ausdrücklich positiv bewertete Bürstmayr auch die neue Regelung für Stamm-Saisonniers: Damit würden Arbeitnehmer:innenrechte gestärkt und es den Saisonniers ermöglicht, selbstbewusster am Arbeitsmarkt aufzutreten.

NEOS hätten sich weitergehende Schritte gewünscht

Zustimmung erhielt die Novelle auch von den NEOS, auch wenn Gerald Loacker nicht nur positive Punkte sieht. So kritisierte er etwa die Einrichtung der Plattform “Work in Austria”. Das Verfahren werde nicht beschleunigt, wenn zu zwei Behörden eine dritte staatliche Behörde dazukomme, vielmehr werde dadurch nur der Staatsapparat “aufgebläht”, meinte er. Die durchschnittliche Verfahrensdauer zur Erlangung einer Rot-Weiß-Rot-Karte sei mit im Schnitt 15 Wochen von der Antragstellung bis zur Erteilung der Karte viel zu lang.

Zudem ist es für Loacker nicht einsichtig, dass EU-Bürger:innen für eine Unternehmensgründung in Österreich lediglich 10.000 € Startkapital benötigen, Drittstaatsangehörige hingegen 30.000 €. Ebenso sprach er sich dafür aus, Englischkenntnisse generell mit 5 Punkten zu bewerten, unabhängig von der Konzernsprache des Unternehmens. Als begrüßenswert nannte der Abgeordnete demgegenüber unter anderem die Abschaffung der Altersdiskriminierung beim Mindestentgelt, die Erleichterungen für Projektmitarbeiter:innen und die Regelung für Stamm-Saisonniers.

Ein Entschließungsantrag der NEOS (2392/A(E)), der darauf abzielte, auch für Lehrlinge eine Rot-Weiß-Rot-Karte einzuführen, wurde vertagt. Die Initiative sei ein guter Ansatz, es brauche aber noch genauere Prüfungen, etwa was die Wechselwirkung mit anderen Gesetzen wie dem Aufenthaltsrecht und dem Asylrecht betrifft, argumentierte ÖVP-Abgeordnete Diesner-Wais. Nach Meinung der NEOS könnte die geforderte Rot-Weiß-Rot-Karte etwa von Jugendlichen aus europäischen Drittstaaten, etwa vom Balkan oder aus der Ukraine, genutzt werden.

Kritik von SPÖ und FPÖ

Kritisch zur vorliegenden Gesetzesnovelle äußerten sich Verena Nußbaum (SPÖ) und Dagmar Belakowitsch (FPÖ). So sprach Nußbaum etwa von einem “kompletten Kniefall vor der Wirtschaft”. Sie befürchtet, dass der Druck auf heimische Arbeitskräfte durch die Novelle steigen wird. Besser wäre es gewesen, “den hausgemachten strukturellen Arbeitskräftemangel” durch eine Ausbildungsoffensive und verbesserte Arbeitsbedingungen zu bekämpfen.

Ähnlich äußerte sich auch FPÖ-Abgeordnete Belakowitsch. Die Novelle sei nicht nur ein Kniefall vor der Wirtschaft, sondern auch vor privaten Personalvermittlungen, betonte sie. Offenbar sei die Regierung nicht in der Lage, Arbeitnehmer:innen aus anderen EU-Ländern für Österreich zu begeistern. Der Druck auf die heimischen Arbeitskräfte werde massiv erhöht, die Regierung bewege sich immer weiter weg von den Bedürfnissen der Bevölkerung. Belakowitsch verwies zudem auf die nach wie vor hohe Arbeitslosenrate in Österreich.

Arbeitsminister Martin Kocher hielt den beiden Oppositionsparteien entgegen, dass es derzeit in Österreich die geringste Arbeitslosenquote seit 2008 und die höchste Zahl an offenen Stellen gebe, auch im Verhältnis zur Zahl der Beschäftigten. Daran werde sich auch in den nächsten Jahren strukturell nichts ändern, da viele Menschen den Arbeitsmarkt verlassen werden. Zudem habe man auch eine Qualifizierungsoffensive für heimische Arbeitskräfte mit dem bisher höchsten Budget gestartet. Man habe “ein gutes Paket zusammengebracht”, ist Kocher überzeugt.

SPÖ-Antrag zu Pflegestipendium vertagt

Vom Ausschuss abgelehnt wurde ein Antrag der FPÖ (611/A(E)), der darauf abzielt, den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt bei hoher Arbeitslosigkeit oder anderen triftigen Gründen sektoral auch für EU-Bürger:innen zu beschränken. Dies wäre nicht nur EU-rechtswidrig, sondern angesichts des Umstands, dass viele Unternehmen “händeringend” Mitarbeiter:innen suchten, auch kontraproduktiv, sagte ÖVP-Abgeordnete Rebecca Kirchbaumer.

Mit den Stimmen der Koalitionsparteien vertagt wurde ein Antrag der SPÖ (2505/A(E)). SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch und seine Fraktionskolleg:innen treten angesichts des Personalmangels im Pflegebereich dafür ein, das von der Regierung angekündigte Pflegestipendium von monatlich 1.400 € bereits ab September 2022 zu gewähren. Angesichts des “Pflegnotstands” und des “Pflegekollaps” in manchen Bundesländern zähle jede Minute, machte Abgeordneter Christian Drobits im Ausschuss geltend. Das Stipendium soll Personen gewährt werden, die sich via AMS zu einer Pflegefachkraft umschulen lassen. Begründet wurde die Vertagung von Ernst Gödl (ÖVP) damit, dass die geplante Maßnahme vorbereitet werden müsse. (Fortsetzung Sozialausschuss) gs

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