TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 11. August 2020 von Manfred Mitterwachauer „Die Hoffnung fährt im Kreis“

Innsbruck (OTS) – Corona hat die Tiroler Verkehrsproblematik in den Hintergrund gedrängt. Der Lockdown hat dem Durchzugskorridor für Mensch und Güter für kurze Zeit Luft verschafft. Dieses geänderte Mobilitätsverhalten war real und ist dennoch nur Fiktion.

Verkehrspolitisch ist Tirol im Dauer-Ausnahmezustand. Erst vor einem Jahr musste sich das Land mit einer sommerlichen Not(wehr)-Aktion aus dem Würgegriff des Urlauber-Ausweichverkehrs befreien. Mit Erfolg. Dem steigenden Schwerverkehr wurden zudem mit Jahreswechsel verschärfte Fahrverbote aufgebrummt. Dieser Erfolg muss sich erst weisen. Dann kam Corona. Und überfuhr – wie auch viele andere Bereiche – die Tiroler Verkehrsproblematik quasi über Nacht und stellte sie regelrecht auf den Kopf. Die Straßen leer, die Luft sauberer. Das Lkw-Wochenendfahrverbot wurde ausgesetzt. Der Preis für all das ist bekannt: massiv eingeschränkte (Bewegungs-)Freiheiten und eine Wirtschaft, die sich erst in Jahren vom Lockdown erholen wird. Jetzt, da der Alltag zurückkehrt, ist auch das Verkehrsproblem wieder virulent. Lkw werden wieder an der Grenze dosiert, regionale Pkw-Fahrverbote verhängt. Die Corona-bedingte Atempause auf den Hauptdurchzugsrouten im selbsternannten Herz der Alpen war real. Und doch nur eine Augen öffnende Fiktion, denn dieser ungewollte Feldversuch hat gezeigt, wie radikal sich unser aller Mobilitätsverhalten verändern müsste, um die selbst gesteckten und in politischen Sonntagsreden postulierte­n Verkehrsziele in Tirol letztlich auch zu erreichen.
Der gestern aufgelegte Verkehrsbericht 2019 zeigt klar: Der Gesamtverkehr in Tirol ist leicht rückläufig – das Ausgangsniveau ist jedoch ein hohes. Die Wachstumskurve beim Schwerverkehr auf der Brennerroute ist zwar auf ein Plus von ein Prozent abgeflacht, für ein neues Allzeit-Hoch von 2,541 Millionen Fahrten reichte aber auch das locker. Die Rollende Landstraße – also der Lkw-Transport per Bahn – ist 2019 erneut in die Knie gegangen. Wenn gut ein Drittel der bestellten RoLa-Züge aufgrund fehlender Nachfrage abbestellt werden muss, sagt das viel über die Konkurrenzfähigkeit der Schiene zur Straße aus. Und auch, welch großes Fragezeichen nach wie vor hinter der – in Berlin am Transitgipfel zwischen dem deutschen und österreichischen Verkehrsminister beschlossenen – Aufstockung der RoLa steht. Die Korridormaut oder gar eine Alpentransitbörse sind in weiter Ferne. Und dass ausgerechnet die Deutschen im Ratsvorsitz die überarbeitete Wegekostenrichtlinie EU-weit auf Schiene bringen?
Wir brauchen keinen neuen Lockdown. Aber endlich wirksame Verkehrsbremsen. Die Hoffnung darauf fährt jedoch weiter nur im Kreis. Das ist real und keine Fiktion.

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