EU-Eigenmittelbeschluss: Ratifizierungsprozess in Österreich soll demnächst starten
Verfassungsausschuss befasst sich mit EU-Fragen und erstem SDG-Bericht
Wien (PK) – Die Regierung wird dem Nationalrat den Eigenmittelbeschluss der Europäischen Union, mit dem die Obergrenzen für den EU-Haushalt erhöht werden, demnächst zur Ratifizierung vorlegen. Das kündigte EU- und Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler heute im Verfassungsausschuss des Nationalrats an. Auch die Vorschläge zur Verwendung jener 3 Mrd. €, die Österreich aus dem EU-Wiederaufbaufonds zustehen, werden ihr zufolge zeitgerecht vorliegen. Man sei gerade mit dem Koalitionspartner in Absprache, welche Projekte eingereicht werden sollen, sagte sie. Auch mit der EU sei man dazu in intensivem Austausch. Klimaschutz und Digitalisierung würden jedenfalls zu den Schwerpunkten gehören, auch für den Ausbau der Kinderbetreuung und Maßnahmen zur Stärkung von Frauen könnten EU-Mittel abgerufen werden.
Zur Feststellung von SPÖ-Abgeordnetem Thomas Drozda, dass die Regierung hier massiv säumig sei, merkte Edtstadler an, die Vorschläge anderer Länder seien von der EU zum Teil „zurückgeworfen worden“. Das wolle Österreich vermeiden. Zudem werde Geld ohnehin erst fließen, wenn konkrete Schritte bei den einzelnen Projekten angelaufen sind. Edtstadler warnte zudem davor, die Erwartungen „in den Himmel zu schrauben“, so groß sei die zur Verfügung stehende Summe nicht.
Erfreut äußerte sich Edtstadler darüber, dass die EU-Zukunftskonferenz nunmehr in den Startlöchern steht. Die Stimmung in der EU habe sich gedreht, noch vor kurzem habe die Meinung vorgeherrscht, dass man angesichts der COVID-19-Pandemie drängendere Sorgen habe, erklärte sie. Es sei aber notwendig, Weichenstellungen für ein Europa zu treffen, „in dem wir uns in 20, 25 Jahren wiederfinden“. Mit der Zukunftskonferenz werde ein wichtiger Diskussionsprozess angestoßen, auch wenn der Weg zu Vertragsänderungen ein schwieriger sei. Edtstadler kann sich etwa vorstellen, das Subsidiaritätsprinzip in den EU-Verträgen selbst zu verankern.
Zum Thema Rechtsstaatlichkeit merkte Edtstadler an, Österreich habe intensiv dafür gekämpft, EU-Förderungen an die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeitskriterien zu knüpfen. Nun gelte es einmal abzuwarten, wie der EuGH die von Polen und Ungarn in Zusammenhang mit dem Wiederaufbaufonds eingebrachte Klage entscheide. Auch die von der EU-Kommission nunmehr für alle EU-Länder vorgelegten Rechtsstaatlichkeitsberichte begrüßte Edtstadler ausdrücklich: Es gehe weniger darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen, vielmehr könne man viel von anderen EU-Ländern lernen, sagte sie.
Auf den „Grünen Impfpass“ angesprochen, zeigte sich Edtstadler darüber erfreut, dass die EU-Kommission noch diese Woche einen Vorschlag vorlegen wird. Sie hält diese Initiative für notwendig, schließlich sei es auch für die Wirtschaft wichtig, die Mobilität in Europa „wieder nach oben zu bringen“. Eine Diskriminierung nicht geimpfter Personen befürchtet Edtstadler nicht, sie geht davon aus, dass auch Genesungsbescheinigungen bzw. vorhandene Antikörper in den Impfpass eingetragen werden können bzw. auch mit Tests gereist werden kann.
Ebenfalls „optimistisch gestimmt“ ist Edtstadler, was den seit Jahren auf Eis liegenden Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention betrifft. Hier ist ihr zufolge zuletzt wieder Bewegung in die Sache gekommen, wie sie gegenüber NEOS-Abgeordnetem Nikolaus Scherak festhielt. Ihrer Meinung nach sollte das Problem des Verhältnisses zwischen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gelöst werden können.
Basis für die Diskussion im Ausschuss bildeten ein Bericht von Bundeskanzler Sebastian Kurz und Europaministerin Karoline Edtstadler über die EU-Schwerpunkte dieses Jahres (III-241 d.B.) sowie der Bericht aus dem vergangenen Jahr (III-104 d.B.), die beide mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS zur Kenntnis genommen wurden. Dabei werden neben der Bewältigung der COVID-19-Pandemie und der Konferenz zur Zukunft der EU unter anderem der zwischen den EU-Staaten vereinbarte „Green Deal“ als Antwort auf die Klimakrise und die künftigen Beziehungen der EU zu Großbritannien angesprochen. Auch die Themen Cybersicherheit und Desinformation spielen auf EU-Ebene eine wesentliche Rolle.
Von Seiten der Abgeordneten wurde das Thema Rechtsstaatlichkeit gleich mehrfach angeschnitten. So machte Michaela Steinacker (ÖVP) geltend, dass die EU-Kommission Österreich im Rechtsstaatlichkeitsbericht ein recht gutes Zeugnis ausgestellt habe. Laut Selma Yildirim (SPÖ) wurde die Weisungsbefugnis des Justizministers gegenüber den Staatsanwaltschaften allerdings als rechtsstaatlich bedenklich beurteilt und auch die intensiven Berichtspflichten der Staatsanwaltschaften hinterfragt. Zudem werde auch empfohlen, die politischen Einflussmöglichkeiten auf den ORF zurückzudrängen.
Die Frage Yildirims, wie Edtstadler persönlich zur Einrichtung einer weisungsfreien Bundesstaatsanwaltschaft stehe, wollte diese aber nicht beantworten. Sie wolle den laufenden Verhandlungen dazu nicht vorgreifen, meinte sie.
FPÖ-Abgeordnete Susanne Fürst zeigte sich irritiert darüber, dass Österreich die Fortsetzung des Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Ungarn und Polen unterstützt, nachdem es auch in Österreich im Zuge der Bekämpfung der Corona-Krise zu verfassungsrechtlich problematischen Vorgehensweisen gekommen sei. Zudem kritisierte sie, dass Österreich mittlerweile drittgrößter Nettozahler der EU sei. Der österreichische Beitrag zum EU-Budget habe sich nicht, wie angestrebt, stabilisiert, vielmehr komme es zu einer enormen Steigerung. Ein Versagen der EU ortet Fürst in der Migrationspolitik. Überdies warnte sie vor einer Einschränkung der Meinungsfreiheit im Kampf gegen Fake-News, man dürfe den Kampf nicht als Vorwand nehmen, um Regierungs- und EU-Kritik zu unterbinden.
Felix Eypeltauer (NEOS) bedauerte, dass Österreich nicht zu den ersten Staaten gehört, die den Eigenmittelbeschluss ratifiziert haben. Zudem äußerte er Bedenken, dass die – von ihm grundsätzlich begrüßte – EU-Zukunftskonferenz das gleiche Schicksal erleiden wird wie der Österreich-Konvent und gute Ideen „versanden werden“. Für Michel Reimon (Grüne) ist es jedenfalls wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, wie Europa auch im Falle einer Erweiterung beschlussfähig und regierbar bleibt. Reimon äußerte sich zudem kritisch über das Sponsoring von Ratspräsidentschaften durch Konzerne. Johann Singer (ÖVP) hob die bedeutende Rolle der Gemeinden in der Europäischen Union hervor und wertete es positiv, dass es bereits in 1.200 Gemeinden zumindest einen EU-Gemeinderat bzw. eine EU-Gemeinderätin gebe.
Nachhaltige Entwicklungsziele: Erster SDG-Bericht Österreichs zeigt Erfolge und wunde Punkte auf
Einstimmig vom Verfassungsausschuss zur Kenntnis genommen wurde der erste Fortschrittsbericht Österreichs zur Erreichung jener 17 nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs), die die UNO in ihrer Agenda 2030 definiert hat und die von den Mitgliedstaaten bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts erreicht werden sollen (III-243 d.B.). Dazu gehören etwa die Beendigung von Armut, Ernährungssicherheit, hochwertige Bildung, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, die Verringerung von Ungleichheit, eine widerstandsfähige Infrastruktur und Maßnahmen gegen den Klimawandel, wobei Österreich im Rahmen seiner nationalen Strategie drei inhaltliche Schwerpunktthemen – Digitalisierung, Klimaschutz sowie Frauen, Jugend und Verbesserung der Lebenssituation benachteiligter Gruppen („Leaving no one behind“) – gewählt hat.
Der Bericht macht, mit Stand März 2020, nicht nur die bisher in Österreich erzielten Erfolge sichtbar, sondern zeigt auch einige wunde Punkte auf. So ist etwa der Energieverbrauch zwischen 2010 und 2018 weiter gestiegen und lag konstant über dem angestrebten Energieeffizienzrichtwert. Auch die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen und die Flächennutzung für Bau-, Verkehrs- und Freizeitflächen nahmen weiter zu. Die ÖsterreicherInnen verbrauchen überdies deutlich mehr Rohmaterialien als im EU-Schnitt, ebenso sind die Siedlungsabfälle angewachsen. Auch bei den Einkommensunterschieden zwischen Männern und Frauen sowie bei der staatlichen Entwicklungshilfe hinkt Österreich hinterher, wie das von der Statistik Austria entwickelte Indikatoren-Set und weitere Vergleiche zeigen (siehe dazu auch Parlamentskorrespondenz Nr. 182/2021). Noch nicht berücksichtigt im Bericht sind die Auswirkungen der Corona-Krise, sie werden sich wohl erheblich auf einige Indikatoren auswirken.
Im Zuge der Debatte meinte Carmen Jeitler-Cincelli (ÖVP), mit dem Engagement von Kanzleramtsministerin Edtstadler in dieser Frage sei ein Turbo in die Umsetzung der SDGs gekommen. Auch in der Privatwirtschaft passiere sehr viel, machte sie geltend. „Top“ sieht Jeitler-Cincelli Österreich bei der Armutsbekämpfung, es gebe aber auch noch viele Aufgaben, etwa in Zusammenhang mit der Einkommensgleichheit, zu erledigen.
Selma Yildirim (SPÖ) hob die Notwendigkeit hervor, etwas für sozial benachteiligte Gruppen und für Frauen zu tun. Was den Klimaschutz betrifft, sieht sie nicht zuletzt auch die Österreichischen Bundesforste gefordert. Sie kann sich etwa vorstellen, bei Veräußerungen von Grundeigentum des Bundes den Gemeinden und öffentlichen Körperschaften ein Vorkaufsrecht einzuräumen, um auf kommunaler Ebene Klimaschutzmaßnahmen zu erleichtern.
Österreich habe sich zur Umsetzung der SDGs verpflichtet, gab Astrid Rössler (Grüne) zu bedenken. Die Indikatoren würden gut sichtbar machen, wo anzusetzen sei. So sei man aufgrund des Wohlstands bei sozialen Themen weit, es zeige sich aber auch, „dass wir über unsere Verhältnisse leben“ und der Wohlstand zulasten des Klimaschutzes gehe. So baue man etwa Wohnraum „ohne Ende“, was zu steigendem Bodenverbrauch und hohen Leerständen führe. Gleichzeitig würden die Wohnkosten dadurch nicht sinken.
Felix Eypeltauer (NEOS) nahm den Bericht zum Anlass, um auf eine Entwicklung in Oberösterreich hinzuweisen, die seiner Meinung nach im Widerspruch zu den nachhaltigen Entwicklungszielen steht. So habe man Gemeinden die Landesförderung für die kostenfreie Nachmittagsbetreuung von Kindern gestrichen, was zu einer deutlichen Reduzierung der Nachfrage und des Angebots geführt habe und vor allem sozial schwache Familien und AlleinerzieherInnen treffe. Dadurch werde auch das Ziel einer frühkindlichen Bildung konterkariert. Lippenbekenntnisse allein würden nicht helfen, appellierte er an die Ministerin, sich für eine Kehrtwende einzusetzen.
Kanzleramtsministerin Edtstadler hob hervor, dass die Umsetzung der 17 nachhaltigen Entwicklungsziele eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei. Es brauche einen Schulterschluss über Parteigrenzen hinweg, bekräftigte sie. Die SDGs seien bereits 2015 von der UNO verabschiedet worden, es sei nun an der Zeit, „ins Arbeiten zu kommen“. Große Bedeutung misst sie dabei der im Jänner eingesetzten Steuerungsgruppe bei, die inzwischen schon viermal getagt habe. Zum Ziel werden ihr zufolge jedenfalls viele einzelne Bausteine führen.
Der Bericht wird auch im Plenum des Nationalrats diskutiert werden. (Fortsetzung Verfassungsausschuss) gs
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