Leopold Museum: Marjorie Perloff erhält Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse und Staatsbürgerschaft

Ehrenzeichen und Staatsbürgerschaftsurkunde im Leopold Museum an renommierte Literaturwissenschaftlerin überreicht

Wien (OTS) – Nationalratspräsident Werner Sobotka, Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, Akademie der Wissenschaften-Präsident Anton Zeilinger und Leopold Museum-Direktor Hans-Peter Wipplinger gratulierten Marjorie Perloff am Nachmittag des 10. Juni im Rahmen einer feierlichen Veranstaltung anlässlich der Überreichung des Österreichisches Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst und der Überreichung der Urkunde über die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.

Das Leopold Museum und die Wittgenstein Initiative, vertreten durch Generalsekretärin und Mitgründerin Radmila Schweitzer, luden am Donnerstag zu einem besonderen Ereignis: Das Kulturministerium bat zur Überreichung des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse und der Urkunde über die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an die renommierte österreichisch-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Dr.hc.mult. Marjorie G. Perloff.

Die 1931 in Wien als Gabriele Mintz geborene Tochter der Ökonomin Ilse Mintz und des Juristen Maximilian Mintz musste aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Alter von sechseinhalb Jahren mit den Eltern aus ihrer Heimat Österreich flüchten. Trotz aller Widrigkeiten konnte die Familie in den Vereinigten Staaten Fuß fassen und Gabriele Mintz, die sich später Marjorie nannte, schlug eine beispielhafte wissenschaftliche Laufbahn ein.

Nach einer Begrüßung und einführenden Worten durch Leopold Museum Direktor Hans-Peter Wipplinger folgten die geladenen Gäste Prof. Perloffs Ausführungen zum Thema Austrian Culture Today – The View from Los Angeles. Die darauffolgende Laudatio hielt der österreichische Quantenphysiker und Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Prof. Anton Zeilinger. Das Ehrenkreuz überreichte Ministerialrat Reinhold Hohengartner im Namen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Die Überreichung der Staatsbürgerschaftsurkunde erfolgte durch Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler im Namen des Wiener Bürgermeisters und Landeshauptmanns Michael Ludwig. Nationalratspräsident Werner Sobotka machte schließlich – als zweithöchster Repräsentant der Republik Österreich – Ausführungen zur Geschichte der Erinnerungskultur.

Leopold Museum Direktor Hans-Peter Wipplinger, der das Auditorium des Museums für die Veranstaltung mit großer Freude zur Verfügung stellte, verwies auf den Konnex von Prof. Perloffs Studien zur Philosophie und Literatur der Wiener Moderne und den Kernkompetenzen des Leopold Museum. In der permanenten Präsentation Wien 1900. Aufbruch in die Moderne zeigt das Haus den wohl umfassendsten Überblick über das Kunst-, Kultur und Geistesleben in Wien zwischen 1870 und 1930. Zahlreiche der von Perloff in ihren Publikationen – etwa zuletzt Ironie am Abgrund. Die Moderne im Schatten des Habsburgerreiches (2019) – fokussierten Literaten und Philosophen, von Karl Kraus bis Ludwig Wittgenstein, werden in der Dauerausstellung des Leopold Museum gewürdigt. Das Cover des genannten Buches von Perloff schmückt Egon Schieles Selbstbildnis mit Lampionfrüchten aus dem Jahr 1912, ein Meisterwerk der Sammlung Leopold.

„Zur „Wien 1900“ Markenbildung hat der Blick von außen Essentielles beigetragen“, erinnerte Wipplinger. „Einige der bedeutendsten Publikationen zum Thema stammen aus dem anglo-amerikanischen Raum, etwa jene von Eric Kandel, Carl E. Schorske oder Alan Janik“, so der Museumsdirektor. “Wissenschaftler*innen wie Marjorie Perloff sind „Botschafter*innen für die Republik Österreich, die das Wissen um die Errungenschaften der Künstler*innen und Intellektuellen in die Welt hinaustragen”. Wipplinger verwies auf die jüdische Kultur und Tradition, ohne die jene beispiellose Hochblüte des Wiener Geisteslebens im frühen 20. Jahrhundert nicht möglich gewesen wäre und nannte in diesem Zusammenhang unter anderem den Psychoanalytiker Sigmund Freud, den Philosophen Ludwig Wittgenstein, die Komponisten Gustav Mahler und Arnold Schönberg, den Theatermann Max Reinhardt oder Hans Kelsen, Schöpfer der österreichischen Verfassung. An rund 500.000 Menschen pro Jahr, darunter 30.000 Schüler*innen vermittle das Leopold Museum jedes Jahr diese Botschaft und damit auch an den bitteren kulturellen Verlust, der durch die Vertreibung der Vernunft (Peter Weibel) ausgelöst wurde.

Marjorie Perloff zeigte sich hocherfreut über die feierliche Veranstaltung im Leopold Museum, das Sie als ihr „Lieblingsmuseum“ bezeichnete. Besonders begeistere sie in der Museumspräsentation die Darstellung des Bruchs zwischen der Kunst des späten 19. Jahrhunderts und jenem Moment „als sich am Beginn des 20. Jahrhunderts die Dinge plötzlich völlig änderten (“… suddenly things changed completely”)“. Perloff äußerte auch ihre Bewunderung für das Wiener Literaturmuseum. Ihre West Coast Heimat Los Angeles könne zwar landschaftlich durch den Blick auf den Pazifischen Ozean im Vergleich zu Wien unterschiedlicher nicht sein, durch die Präsenz der emigrierten Kunst- und Kulturschaffenden wie Thomas Mann, Vicki Baum, Bertold Brecht, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno oder von Mitgliedern von Wissenschaftlerzirkeln, etwa des von Friedrich Hayek in den 1920er-Jahren gegründeten „Geist-Kreises“ oder des „von Mises-Zirkel“ des Wirtschaftswissenschaftlers Ludwig von Mises, sei L.A. Europa in gewissem Sinn viel näher gewesen als New York, nicht zuletzt auch durch die zahlreichen Exponenten der Filmszene Hollywoods, wie Regisseur Billy Wilder oder der Schauspieler Paul Henreid, beide Altösterreicher. Es habe sich um eine neue Renaissance gehandelt, begleitet von Nostalgie. Die ironische Bezeichnung „Beiunskis“ sei laut Perloff unter den Exilant*innen ein geflügelter Begriff gewesen. Gemeint waren all jene die, an die verlorene Heimat denkend, seufzten: „Bei uns war alles besser“. Mehrere Aufenthalte in Wien brachten in den vergangenen Jahrzehnten Perloff die alte Heimat sukzessive wieder näher, mitunter durch wiederauftauchende Erinnerungen.

Laudator Anton Zeilinger erinnerte an die Begegnung mit Marjorie Perloff im Zuge des auf seiner Idee basierenden Dokumentarfilmprojektes The Class of ‘38. Exile & Excellence von Frederick Baker, das herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Wort kommen lässt. Sie alle, etwa Eric Kandel, Martin Karplus, Ruth Klüger oder Walter Kohn, einten nicht nur die Verfolgung und Vertreibung durch die Nationalsozialisten aus Österreich in Folge des „Anschlusses“ 1938 sondern auch herausragende wissenschaftliche Karrieren. Die Schicksale dieser Menschen wurden durch persönliche Interviews zugänglich gemacht und ermöglichen nachfolgenden Generationen Einblicke in das Erleben von Verfolgung, Flucht, Vertreibung und dem Aufbau eines neuen Lebens in den Zufluchtsländern. Zeilinger, Jahrgang 1945, schilderte die erste und schockierende Begegnung mit der Tragödie des Genozids, als er 1958, als Dreizehnjähriger mit seiner Schulklasse eine Ausstellung besuchte, in der Fotografien der Überlebenden eines Konzentrationslagers nach der Befreiung gezeigt wurden. Als er in die USA übersiedelte, wo er am MIT in Boston unterrichtete, traf er auf den aus Wien emigrierten Physiker Victor Weisskopf. Damals stolz auf seine Englischkenntnisse, sprach ihn Weisskopf nach einem Vortrag mit den Worten an: „Sie sind auch aus Wien?“. Dies bewies, dass Zeilingers Akzent sehr klar zuordenbar war. Zeilinger erinnerte auch an Marjorie Perloffs Großvater. Ihre Mutter Ilse Mintz war die Tochter des Nationalökonomen Richard Schüller, der von 1932 bis 1938 Österreichs a.o. Gesandter und bevollmächtigter Minister beim Völkerbund war. Als Perloff 1955 in die verlorene Heimat kam, war es ein Besuch in einer Stadt, aus der beinahe alle Jüdinnen und Juden verschwunden waren, 1930 hingegen stellten die jüdischen Bürger*innen in Wien noch 10 % der Einwohner*innen. Ein Foto, so Zeilinger zeige Marjorie Perloff 1967 mit ihren beiden Töchtern im Dirndl im Salzkammergut. Rund 30 Jahre zuvor hatten die Nazis in Österreich den jüdischen Mitbürger*innen das Tragen von Trachten verboten.

Ministerialrat Reinhold Hohengartner (Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport) würdigte in Vertretung von Kulturminister Werner Kogler anlässlich der Verleihung des Ehrenkreuzes Marjorie Perloff als eine Persönlichkeit, die sich „nicht nur als Wissenschaftlerin sondern als Kulturvermittlerin im besten Sinn des Wortes verdient gemacht hat.“ Er rief ins Bewusstsein, dass das Österreichische Ehrenkreuz jene Personen erhalten, „die sich durch besonders hochstehende schöpferische Leistungen auf dem Gebiete der Wissenschaft oder der Kunst allgemeine Anerkennung und einen hervorragenden Namen erworben haben.“ Perloff habe sich immer öffentlich für Kunst und Kultur eingesetzt und einen besonders engagierten Beitrag für die Literaturwissenschaft geleistet. Gerade angesichts der Pandemie, in der manche von der Generation COVID als Lost Generation sprechen, sei es wichtig jene Menschen als Vorbilder zu würdigen, die trotz aller Hürden, wie Verfolgung, Vertreibung und Verlust Großes für die Gesellschaft geleistet haben und zu vermeiden, dass die Menschheit in eine Kulturpessimismus abdrifte.

Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler reihte sich als „postwoman“ des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig unter den Gratulant*innen ein und überbrachte die Urkunde zur Überreichung der Staatsbürgerschaft mit den Worten „Wir sind stolz auf Sie als Staatsbürgerin.“ Kaup-Hasler würdigte – als Germanistin – Perloff ob ihrer Vitalität, mit der sie die Menschen lebendig und geistvoll in ihre Gedankenwelt eintauchen lasse. Sie dankte der altösterreichischen Neo-Staatsbürgerin für die Annahme des Zeichens. Man vermisse in unserem Land den „flow of intellect and humanity“, der mit der erzwungenen Emigration verloren ging. „Es ist Auftrag für die Zukunft, für unsere Nachkommen zu garantieren, dass das was geschehen ist, nie mehr geschieht“, fand Kaup-Hasler klare Worte. Es handle sich um eine „Geste der Gemeinschaft“ und um „das Setzen eines Zeichens, dass das Land und die Nachkommen verstanden haben“, so Kaup-Hasler.

Nationalratspräsident Werner Sobotka verlieh seiner Freude Ausdruck, dass Frau Prof. Perloff die Staatsbürgerschaft angenommen habe. Er gratulierte Marjorie Perloff zur wissenschaftlichen Leistung und betonte, dass es ihm ein persönliches Anliegen und eine große Ehre ist bei dieser Feierstunde für Frau Prof. Perloff dabei sein zu können. Sie habe „mit ihrer Expertise weit über den Durchschnitt hinaus Leistungen erbracht“. Ihre Erkenntnisse zur österreichischen Literatur der Moderne präsentierte Perloff am 11. Juni im Rahmen der Wittgenstein Konferenz 2021 im Vortrag Die verschwundene Austromoderne nach 1938, in dem sie über die allgemeine Tragweite der Emigration referiert, die einen enormen Kulturverlust für die bemerkenswerte Wiener Gesellschaft der Zwischenkriegszeit darstellte. „Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist ein spätes aber umso wichtigeres Zeichen der Versöhnung. 120.000 Menschen hatten einst ihre Identität verloren. 15.000 bekennen sich dennoch wieder zu Österreich“, so Sobotka. In diesem Sinne dankte er Perloff „diesen Schritt gemacht zu haben“. „1938 ist nicht vom Himmel gefallen“, so der Nationalratspräsident. „1945 hat Österreich eine neue Rolle für sich definiert. Erst Bundeskanzler Franz Vranitzky hielt in seiner Rede vor der Knesset unmissverständlich fest, dass Österreich nicht nur Opfer war, sondern viele in unserem Land auch Täter*innen waren. Ein wichtiger Schritt der Erinnerungskultur ist die Errichtung der Namensmauer im Ostarrichi-Park vor der Österreichischen Nationalbank, im Gedenken an die 45.000 in der Shoah ermordeten jüdischen Kinder, Frauen und Männer aus Österreich“, so Sobotka.

Prof. Marjorie Perloff dankte abschließend Bundespräsident Alexander Van der Bellen für die Verleihung des Ehrenzeichens, der Österreichischen Botschaft in den USA für die Anregung zur Verleihung, Prof. Anton Zeilinger für seine Rede, Ministerialrat Reinhold Hohengartner für die Überreichung des Ehrenzeichens und Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka für seine treffenden Worte wie für seine Anwesenheit bei dieser Feierstunde. Generalsekretärin Radmila Schweitzer dankte sie für die Arbeit der Wittgenstein Initiative. Ihr besonderer Dank ging an Landeshauptmann Michael Ludwig für die Verleihung der Staatsbürgerschaft und an Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler für die Überreichung der Urkunde. Leopold Museum-Direktor Hans-Peter Wipplinger dankte Sie dafür, dass er „sein wunderbares und weltberühmtes Haus zur Verfügung gestellt hat“, ihrer Tochter Carey Perloff und ihrer Enkelin, der Anwältin Alexandra Perloff-Giles, sie nach Wien begleitet zu haben.

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