„Killer“, „Täter“: Presserat mahnt Unschuldsvermutung ein
Wien (OTS) – Nach Meinung des Senats 2 verstoßen die Beiträge „Wien-Killer musste mit Schicksalsschlag fertig werden“, erschienen am 12.05.2021 auf „heute.at“, sowie „Mädchenmord geklärt: Ein Täter ist erst 16“, erschienen auf der Titelseite der Tageszeitung „Heute“ vom 29.06.2021, gegen Punkt 5 des Ehrenkodex für die österreichische Presse (Persönlichkeitsschutz).
Im Beitrag „Wien-Killer musste mit Schicksalsschlag fertig werden“ wird über den Fund einer Frauenleiche berichtet. Die Polizei habe den Ehemann der Toten (44) als dringend Tatverdächtigen festgenommen. Dabei sei zur Stunde völlig unklar, was sich in der Wohnung im Wiener Gemeindebezirk Simmering zugetragen habe, ein Obduktionsergebnis liege noch nicht vor. Die Schlagzeile „Mädchenmord geklärt: Ein Täter ist erst 16“ bezieht sich auf die Ermordung eines 13-jährigen Mädchens. Im dazugehörigen Artikel heißt es dann, dass der Mädchenmord in Wien-Donaustadt geklärt zu sein scheine: Die Polizei habe zwei Verdächtige (16, 18) festgenommen, die Hintergründe seien aber noch rätselhaft. Am Ende des Artikels wird auf die Unschuldsvermutung hingewiesen.
Mehrere Leserinnen und Leser wandten sich an den Presserat und kritisierten die Beiträge als Vorverurteilung der Tatverdächtigen. Die Medieninhaberin der Tageszeitung „Heute“ nahm am Verfahren teil, die Medieninhaberin von „heute.at“ hingegen nicht. Der Chefredakteur von „Heute“ führte aus, dass eine Schlagzeile immer eine Verkürzung und Zuspitzung erforderlich mache. Im Gesamtbild sei das Geschehen jedoch zum gegebenen Zeitpunkt vollkommen korrekt wiedergegeben und auch der Persönlichkeitsschutz gewahrt worden.
Der Senat hält zunächst fest, dass den Beschwerdesenaten der Schutz der Unschuldsvermutung und der Persönlichkeitsschutz von Verdächtigen ein wichtiges Anliegen ist. Vor diesem Hintergrund hält der Senat die Bezeichnungen der Tatverdächtigen in der Überschrift bzw. Schlagzeile als „Killer“ und als „Täter“ nicht für gerechtfertigt.
In beiden Kriminalfällen waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Artikel die Ermittlungen der zuständigen gegen die Verdächtigen noch im Laufen; endgültige Ermittlungsergebnisse lagen noch nicht vor. Im Fall des 44-Jährigen Tatverdächtigen wurde dieser sogar kurz nach seiner Einvernahme wieder freigelassen, was auch im Artikel angemerkt wird.
Nach Ansicht der Senate vermitteln die Bezeichnungen „Killer“ und „Täter“ den Eindruck, dass die Schuld der Tatverdächtigen bereits erwiesen sei, obwohl es noch zu keinen Strafverfahren gegen die Verdächtigen gekommen ist. Der Senat ist daher der Ansicht, dass die Berichterstattung die Unschuldsvermutung der Betroffenen verletzt und es zu einer Vorverurteilung gekommen ist. Die Beiträge verstoßen somit gegen Punkt 5.1 des Ehrenkodex, wonach jeder Mensch Anspruch auf Persönlichkeitsschutz hat.
Bei der Schlagzeile „Mädchenmord geklärt: Ein Täter ist erst 16“ spielt es auch eine Rolle, dass Schlagzeilen auf Titelseiten ein eigenständiger Aufmerksamkeitswert – unabhängig vom dazugehörigen Artikel im Blattinneren – zukommt. In dem Zusammenhang merkt der Senat auch noch kritisch an, dass der Tatverdächtige erst 16 Jahre alt war: Bei Berichten über Jugendliche sollten vor der Veröffentlichung mögliche Eingriffe in den Persönlichkeitsschutz besonders sorgfältig geprüft werden (vgl. Punkt 6.3 des Ehrenkodex).
Die Medieninhaberinnen der Tageszeitung „Heute“ und von „heute.at“ werden aufgefordert, freiwillig über die Ethikverstöße zu berichten.
SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND VON MITTEILUNGEN MEHRERER LESERINNEN UND LESER
Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der drei Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.
Im vorliegenden Fall führte der Senat 2 des Presserats aufgrund von Mitteilungen mehrerer Leserinnen und Leser ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund von Mitteilungen). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die Medieninhaberin der Tageszeitung „Heute“ hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, Gebrauch gemacht, die Medieninhaberin von „heute.at“ hingegen nicht.
Die Medieninhaberinnen der Tageszeitung „Heute“ und von „heute.at“ haben die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt.
Andreas Koller, Sprecher des Senats 2, Tel.: 01-53153-830
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