Leitartikel „Beim ÖFB beginnt das Spargelstechen“ vom 29. März 2022 von Florian Madl

Innsbruck (OTS) – Das Ende des WM-Traums 2022 für Österreichs Fußball-Nationalteam offenbart eine Reihe von Problemfeldern, die in Zeiten des Erfolgs keiner wahrhaben will. Allein die Teamchef-Bestellung mutiert zur Belastungsprobe für den Verband.

Von Florian Madl
Was wäre wohl gewesen, hätte Nationalspieler Christoph Baumgartner den Ball in Minute fünf des jüngsten WM-Play-offs gegen Wales hinter Tormann Wayne Hennessey versenkt, anstatt ihn an die Latte zu knallen? Österreich wäre immer noch auf dem WM-Zug; Teamchef Franco Foda könnte immer noch mit einer Vertragsverlängerung spekulieren, anstatt wie gestern seinen Rückzug bekannt zu geben; und im Österreichischen Fußball-Bund könnte noch immer mancher behaupten, dass angefangen von den Strukturen bis hin zur Entscheidungsfindung ein klarer Weg zu erkennen sei. Das Ausscheiden stellt nun ein System in Frage, das sich der „besten Spieler-Generation der heimischen Fußball-Historie“ rühmt. Selten hatte man Stars am Leistungszenit, eine Flut an Legionären und sogar einen Top-Klub im Konzert der Großen (RB Salzburg). Alles gut also und kein Grund, an einer Schraube zu drehen? Alles auf den scheidenden Teamchef, die Spieler und die Unberechenbarkeit des Fußballs zurückführen und zur Tagesordnung übergehen?
Mitnichten, denn die Bestandsaufnahme im heimischen Fußball gleicht ein Stück weit dem Spargelstechen: Das passiert immer saisonbedingt, also anlassbezogen. Und es hat auch was von der vergessenen Jausenbox in einer Schultasche an sich: Erst wenn es den Betroffenen richtig stinkt, wird die Büchse der Pandora geöffnet.
Ein Grundproblem macht schon die anstehende Benennung des neuen Teamchefs offensichtlich. Während Ex-Internationale wie Marc Janko von einer „haarsträubenden Struktur“ sprechen und die Entscheidungskompetenz der ehrenamtlichen Landesverbandspräsidenten hinterfragen, frappiert ÖFB-Präsident Gerhard Milletich mit seiner Version der Statuten: Die Herren würden lediglich im Sinne der Wirtschaftlichkeit abstimmen, die sportliche Kompetenz liege bei Sportdirektor Peter Schöttel.
Auch am laut Präsident „dringend benötigten“ Trainingszentrum in Aspern nahe Wien scheiden sich die Geister. Schon 2023 soll das 60 Millionen Euro teure Kompetenzzentrum, ein Schmuckkästchen mit Kleinstadion, Fußballhalle und ÖFB-Hauptquartier, gebaut werden, doch weder Nutzung noch Betriebsfinanzierung sind ausgegoren. Was passiert mit dem baufälligen Happel-Stadion? Motto: Es regnet zwar durchs Dach ins Haus, aber wir renovieren zuerst die Fassade. Es scheint, als müsse der ÖFB seine Prioritätensetzung hinterfragen. Das Scheitern des Nationalteams stellt – Stichwort Spargelstechen – nur die Spitze eines tiefer verwurzelten Problems dar.

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