BR-Präsidentin Schumann: Ein starker Staat ist Grundlage des Zusammenlebens

Enquete zur gesellschaftlichen Bedeutung öffentlicher Strukturen

Im Einklang mit dem Motto ihrer Bundesratspräsidentschaft – ein starker Staat als Grundlage des Zusammenlebens – eröffnete heute die Vorsitzende der Länderkammer Korinna Schumann die Enquete “Verlässliche öffentliche Strukturen als Basis des gesellschaftlichen Zusammenhalts”. Im Parlament in der Hofburg diskutierten dabei Vertreter:innen der Sozialpartner und der öffentlichen Institutionen, wie der Staat gerade in Krisenzeiten für Sicherheit und Weiterentwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft sorgen kann. Corona-Krise, Teuerung und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine haben laut Schumann einmal mehr gezeigt, dass die “stärkste Stütze” in Zeiten multipler Krisen ein starker Staat sei, dem die Menschen vertrauen. Das schaffe “Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhalt”.

Neben Arbeiterkammer (AK) und Wirtschaftskammer (WKÖ), die unter anderem durch AK-Präsidentin Renate Anderl und WKÖ-Vizepräsidentin Amelie Groß bei der Veranstaltung vertreten waren, stellten auch mehrere Landtage, Ministerien, die Industriellenvereinigung, der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), der Städtebund sowie Mitglieder der Parlamentsparteien, und des Europäischen Parlaments Teilnehmer:innen der Diskussionsveranstaltung. Eingangs skizzierte Joachim Truger, Professor für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen, welche Gestaltungsmöglichkeit ein Staat bei der Bewältigung von Krisen hat.

STAATLICHE STEUERUNG FÜR SCHUMANN ESSENTIELL

Das Gestalten in Krisenzeiten ist in Schumanns Augen essentielle Aufgabe eines aktiven und vorausschauenden Staats. Der Sozialstaat müsse als Sicherheitsnetz “alle jene tragen können, die ihn wirklich brauchen”, unterstrich die Bundesratspräsidentin und wies auf die zahlreichen Unsicherheiten hin, die Zeiten des Wandels für viele Menschen mit sich brächten. Gleichzeitig brauche es den Staat als stabilen Regulator, um den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand zu erhalten und “gerecht zu verteilen”. Beispielsweise könne die Gleichstellung von Frauen nur erreicht werden, wenn entsprechende Rahmenbedingungen – von Kinderbetreuung bis Quotenregelungen in Führungsämtern – vorhanden seien. Nicht zuletzt aufgrund des Klimawandels sei die Wirtschaft in einer Transformation, in der neue Branchen entstünden und traditionelle Berufe sich ändern, so Schumann und folgerte, das erfordere eine aktive Arbeitsmarktpolitik und ein gut ausgebautes Bildungssystem. Daseinsvorsorge nannte sie als weiteren bedeutenden Bereich, für den der Staat Verantwortung trage. Die massiv gestiegenen Preise stellen ihr zufolge derzeit die Gemeinden vor große Herausforderungen, allgemein zugängliche Dienstleistungen – etwa im Bereich der Gesundheitsversorgung – bereitzustellen.

TRUGER WIRBT FÜR KREDITFINANZIERTE INVESTITIONEN

Universitätsprofessor Truger ging in seinem Impulsreferat auf die Rolle des Staates und der öffentlichen Finanzen in Zeiten der Krisen ein. Kern seiner Ausführungen war: Jene Menschen, die Hilfen zur Krisenbewältigung am nötigsten brauchen, sollten am stärksten entlastet werden. Gleichzeitig müsse der Staat mit kreditfinanzierten Investitionen Innovationen in Wirtschaft und Industrie vorantreiben. Er warnte allerdings davor, Förderungen “mit der Gießkanne” auszuschütten und durch eine “zu expansive” Finanzpolitik die Inflation noch mehr anzukurbeln.

Als Mitglied des deutschen Sachverständigenrates zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung erläuterte Truger anhand der Energiekrise in Deutschland, welche Antworten zur Problemlösung der Staat geben kann. Im Detail beschrieb er die jüngst umgesetzte Gasbremse in Deutschland, die neben einer Entlastung von Haushalten und Industrie auch darauf abziele, den Gasverbrauch abzusenken. Mithilfe von Einsparanreizen wolle man eine unangemessene Subventionierung von Unternehmen vermeiden, wie der Volkswirtschaftsprofessor sagte. Auch eine Absenkung der Inflation sei dadurch beabsichtigt, sowie eine langfristige Abkehr von fossilen Energieträgern mit dem Ziel der Klimaneutralität von Wirtschaft und Gesellschaft.

Private Investitionen seien bei derartigen Transformationen zwar stark gefordert, unterstrich Truger, doch auch der Staat müsse aktiv sein, mit Investitionen in Leitungsnetze, den öffentlichen Verkehr, die Gebäudesanierung und durch Innovationszuschüsse für die Industrie und die Regionalpolitik. Zur Finanzierung dieser staatlichen Ausgaben riet Truger, die gegebenen Möglichkeiten der Kreditfinanzierung zu nutzen, da die Zinsen für Staatsschulden in Deutschland und Österreich noch vergleichsweise gering seien. Keinesfalls dürften die Investitionen durch Einschnitte im Sozialstaat gegenfinanziert werden, betonte der Professor, der eher Steuererhöhungen für einkommensstarke Haushalte empfahl. Deutlich warnte er davor, durch Privatisierungen die öffentlichen Strukturen zu schwächen, zumal die Kommunen weiterhin Sozialausgaben und Daseinsvorsorge zu tragen hätten. Zu den EU-Fiskalregelungen meinte er, sie müssten “verbindlicher” beim mittelfristigen Schuldenabbau werden und mehr finanziellen “Spielraum” lassen. Öffentliche Innovationsfinanzierungen könnten dadurch “sauber” über Kredite laufen.

STAAT ALS STRATEGISCHER TRANSFORMATIONSTREIBER

Im ersten Diskussionspanel zu “Wirtschaft im Wandel – die Rolle des aktiven Staats” war der Tenor, eine Transformation der Wirtschaft sei gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels von staatlicher Seite strategisch zu regeln. Die Leiterin des Bereichs Volkswirtschaft im ÖGB, Helene Schuberth, befand, der Staat müsse “mehr als nur Krisenmanager sein”. Strategische Vorgaben, Finanzierung und staatliche Beteiligung an Unternehmen seien maßgeblich für einen Ausbau der Wirtschaftskraft eines Landes und der Minderung seiner globalen Abhängigkeiten. Für den Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke haben die geopolitischen Veränderungen der jüngsten Zeit der Politik neue Zielsetzungen gegeben. Anstatt von Wachstum als oberstes Ziel gelte es nunmehr, nach sauberem Wirtschaften mit einer “Vision für das Morgen” zu trachten, inklusive nachhaltiger Daseinsvorsorge, skizzierte er Wiens Innovationsstrategie 2030. Darin würden durch Förderungen und starke Strukturen der Bundeshauptstadt neue Möglichkeiten für Wirtschaft und Gesellschaft eröffnet.

Nationalratsabgeordneter Christoph Matznetter (SPÖ) sprach sich als WKÖ-Vizepräsident ebenfalls dafür aus, den funktionierenden Staat als Basis für die Wirtschaft zu sehen. Änderungen am Wirtschaftssystem seien daher mit staatlichen Regulatorien und nicht nach marktwirtschaftlichen Kriterien durchzuführen. Etwa durch eine Gaspreisbremse zur Bewältigung der Energiekrise. Nötig sei eine Transformation jedenfalls, verwies er auf die destruktiven Folgen des ungebremsten Klimawandels auf die Menschheit.

GEMEINSAME SICHERUNG DES WOHLSTANDS

Mit der “Rolle öffentlicher Strukturen als Stabilisator in Zeiten der Krisen und großen Veränderungen” befasste sich neben AK-Präsidentin Anderl und WKÖ-Vizepräsidentin Groß auch ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. Letzterer hielt fest, die Übermacht des Markts gegenüber dem Staat sei Vergangenheit, das habe sich besonders während der Corona-Pandemie gezeigt. Aktuell sei der Staat zur Abmilderung der Teuerung aufgerufen, mahnte Katzian, da viele Menschen sich dadurch in Existenznöten befänden, was eine Gefahr für Gesellschaft und Demokratie darstelle.

Groß bestätigte, staatliche Regelungen wie die pandemiebedingte Kurzarbeit, erarbeitet unter Einbindung der Sozialpartnerschaft, hätten in der Corona-Krise für das Weiterbestehen von Unternehmen und Arbeitsplätzen gesorgt. Nun leide Österreich durch den unerwartet raschen Aufschwung der Wirtschaft unter einem massiven Fachkräftemangel, so Groß, die darin gemeinsam mit den hohen Energiepreisen und der demografischen Entwicklung eines der größten Probleme des heimischen Wirtschaftsstandorts ausmacht.

Anderl hatte zu Beginn dieser Diskussionsrunde angemerkt, trotz des Sozialstaats in Österreich hätten nicht alle Bevölkerungsgruppen gleich gute Zugänge zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Pflege. Deutlich warnte sie davor, durch eine Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen die Ungleichheiten im Land zu verstärken. Vielmehr sollten “Superreiche” durch Vermögens- und Erbschaftssteuern ihren Beitrag zum Erhalt des sozialen Friedens leisten. (Fortsetzung BR-Enquete) rei

HINWEIS: Die Enquete des Bundesrats kann auch via Livestream mitverfolgt werden und ist als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.

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