Sprachstandsfeststellungen in Schulen:

Neue „Sonderregelung“, welche ein Aufsteigen für SchülerInnen an Nahtstellen ermöglichen soll

SchülerInnen, denen mittels MIKA-D-Testung unzureichende Deutschkenntnisse bescheinigt sind, werden benachteiligt und segregiert. Die Sonderregelung, welche einen Übertritt der betroffenen SchülerInnen auch in die nächste Schulform ermöglicht, entschärft die aktuelle prekäre Situation. Längerfristig ist eine kinderrechtskonforme Gesetzesänderung unabdinglich.

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs haben bereits im Februar 2022 im „Positionspapier zu Sprachstandsfeststellungen mittels MIKA-D-Testungen und den daraus resultierenden Zuordnungen von SchülerInnen zu Deutschförderklassen bzw. Deutschförderkursen“ (siehe: https://www.kija.at/images/MIKA-D_AT.pdf) ausführlich zu den kinderrechtlichen Aspekten im Zusammenhang mit den gesetzlich vorgesehenen Deutschfördermaßnahmen Stellung genommen. Schon damals wurde kritisch angemerkt, dass die Aufstiegsmöglichkeiten von SchülerInnen, die sich in Deutschfördermaßnahmen befinden, wesentlich eingeschränkt sind, ein Aufstieg in die nächsthöhere Schulstufe in der Praxis mit enormen Hürden verbunden und daher regelmäßig mit Schullaufbahnverlusten und Bildungsnachteilen der betroffenen SchülerInnen zu rechnen ist. Die Folgen der daraus erwachsenden erweiterten Altersstruktur im Klassenverband auf psychosozialer Ebene sind vielfältig: Frustration und Demotivation, die sich aus den mangelnden Perspektiven ergibt, verstärkt soziale Konflikte,altersbedingte Segregation und Mobbing. In Zusammenschau mit der körperlichen Überlegenheit älterer SchülerInnen vermehrt sich das Auftreten von Mobbinggeschehen in den Klassen.

In einem Brief vom 27. Juni 2023 hat sich Herr Generalsekretär Mag. Martin Netzer, MBA, zum Thema „Deutschfördermaßnahmen der 4. und 8. Schulstufe (Nahtstelle): SONDERREGELUNG FÜR BESTIMMTE SCHÜLER/INNEN ZUM ÜBERTRITT IN DIE NÄCHSTE SCHULART“ an alle Schulleitungen der Volks- und Mittelschulen in Österreich gewandt. Damit soll manchen außerordentlichen SchülerInnen, die sich im laufenden Schuljahr in der 4. oder 8. Schulstufe befinden, die Aufnahme in die 5. bzw. 9. Schulstufe ermöglicht werden. Die Kinder- und Jugendanwaltschaften begrüßen aus kinderrechtlicher Sicht und gerade im Lichte der im Positionspapier erwähnten Schwierigkeiten ausdrücklich diesen ersten Schritt hin zu Erleichterungen der Möglichkeiten des Aufsteigens für außerordentliche SchülerInnen, wenngleich hierdurch nur ein Teilaspekt der Problematiken, die sich aus der geltenden Rechtslage ergeben, abgedeckt wird.

Hinzu kommt, dass auch im Rahmen der gewährten Erleichterungen manche Punkte kritisch zu betrachten sind, die aus kinderrechtlicher Sicht am gravierendsten sind:

* Kinder, die bei der letzten MIKA-D Testung „ausreichend“ getestet wurden, kommen bereits beim erstmaligen Besuch der 4. bzw. 8. Schulstufe im laufenden Schuljahr in den Genuss der oben dargestellten Sonderregelung. Kinder, die „mangelhaft“ getestet wurden, müssen hingegen die 4. bzw. 8. Schulstufe im laufenden Schuljahr bereits zum zweiten Mal absolvieren, damit die Sonderregelung greifen kann. Kinder, die „ungenügend“ getestet wurden, werden in der Sonderregelung überhaupt nicht thematisiert und haben damit keine Möglichkeit, in eine weiterführende Schule aufgenommen zu werden. Wenngleich die Unterscheidung zwischen Kindern, die „ausreichend“ getestet wurden und somit im nächsten Schuljahr ordentliche SchülerInnen sind und Kindern, die auch im nächsten Schuljahr eine Deutschfördermaßnahme benötigen, noch irgendwie verständlich ist, kann die Differenzierung zwischen „mangelhaft“ und „ungenügend“ getesteten Kindern nicht nachvollzogen werden und ist aus Sicht der Kinder- und Jugendanwaltschaften diskriminierend.
* Aus kinderrechtlicher Sicht stellt sich auch kritisch dar, dass diese Sonderregelung ausschließlich für Kinder an „Nahtstellen“ gilt, nicht aber für alle anderen Kinder im außerordentlichen Status. Hierin ist ein weiterer Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 2 Kinderrechtskonvention zu erblicken, welches als eines der „general principles“ der Konvention einen besonderen Schutz der vulnerablen Gruppe der Kinder darstellt.
* Nachdem die Regelungen für Nachtragsprüfungen zur Anwendung kommen, sind die Kinder bis zur endgültigen Ablegung der Nachtragsprüfungen (diese können bis spätestens 30. November erfolgen) zum Besuch der höheren Schulstufe, im Fall der Nahtstelle also auch der neuen Schule, berechtigt. Besteht ein Kind die Nachtragsprüfung jedoch nicht, dann muss das Kind wieder in die ursprünglich besuchte Schule wechseln. Es besteht somit die große Gefahr, dass Kinder im Herbst für einige Wochen zB die Mittelschule besuchen dürfen, sich dort eingewöhnen und beginnen Freundschaften zu knüpfen, aber spätestens Ende November aus diesem gewachsenen Umfeld herausgerissen werden.
* Die Sonderregelung widerspricht darüber hinaus auch in mehreren Aspekten den geltenden schulrechtlichen Bestimmungen: so stehen außerordentlichen SchülerInnen etwa gem. § 22 Abs 11 Schulunterrichtsgesetz, BGBl 472/1986 idgF (SchUG), ausdrücklich Schulbesuchsbestätigungen aber keine Jahreszeugnisse zu. Im Brief des Generalsekretärs wird den Schulleitungen nun aber vorgeschlagen, nach Ablegung von Nachtragsprüfungen rechtswidrigerweise Jahreszeugnisse auszustellen, welche einen Aufstieg in die nächsthöhere Schulstufe überhaupt erst ermöglichen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass aus kinderrechtlicher Sicht die Initiative zu einer Erleichterung des Aufsteigens begrüßt wird, jedoch wird seitens der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die in Aussicht gestellten Ausnahmeregelungen nicht rechtswidrig sein dürfen und dass diese Ausnahmeregelungen wieder nicht allen, sondern nur einigen bestimmten Kindern Erleichterungen bringen können und damit erneut eine diskriminierende Ungleichbehandlung entsteht.

Eine nur für dieses Schuljahr gültige Regelung greift jedenfalls zu kurz und bedarf es generell einer flexibleren Lösung hinsichtlich des Wechsels vom außerordentlichen Status zu jenem als ordentlicher Schülerin bzw. ordentlichen Schüler, immer mit einem sorgfältigen Blick auf die Kinderrechte aber auch auf das individuelle Kind. Darüber hinaus bedarf es hinsichtlich des gesamten Themenbereiches der Deutschfördermaßnahmen neben einer schnellen und kinderrechtskonformen Lösung der aktuellen Problematik einer systematischen gesetzlichen Neuregelung, welche eine objektive und professionell umgesetzte Sprachstandsfeststellung und für außerordentliche SchülerInnen einen bedürfnisgerechten und inklusiven Schulbesuch sicherstellen.

Kinder und Jugendliche bilden einen wichtigen Teil unserer Gesellschaft und haben das Recht auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf ein diskriminierungsfreies Bildungssystem. Es darf gerade an dieser Stelle nicht vergessen werden, dass eine gute schulische Bildung und Integration einen Grundpfeiler für das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben bildet!

Kinder- und Jugendanwaltschaft Steiermark
Mag.a iur. Denise Schiffrer-Barac
Kinder- und Jugendanwältin für Steiermark
0316/877-4921
kija@stmk.gv.at
www.kija.steiermark.at

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