46. Wiener Gemeinderat (1)

Um 9 Uhr begann im Rathaus eine Sitzung des Wiener Gemeinderates, die auf Verlangen des Grünen Rathausklubs einberufen wurde. Das Thema der Sitzung lautete: „SOS Wiener Gesundheitssystem: Fehlendes Personal, dauernde Überlastung, miese Arbeitsbedingungen in Wiens Spitälern. Totalversagen der Wiener Stadtregierung gefährdet die Gesundheit der Wienerinnen und Wiener“. Fragestunde und Aktuelle Stunde entfielen.

Zur Begründung der Einberufung der Sitzung trat GRin Mag. Barbara Huemer (GRÜNE) vor den Gemeinderat. Sie erklärte, dass das Gesundheitssystem in Wien „in großer Not“ sei und man nicht mehr davon ausgehen könne, die beste Versorgung zu bekommen. Deshalb brauche es „unverzüglich Hilfe“. Laut Berichten von Pflegepersonal und Ärzt*innen stehe man „mit dem Rücken zur Wand“. Auch die Bevölkerung habe, so Huemer, das Vertrauen in das System verloren. Nur mehr 5 Prozent würden die Versorgung als „sehr gut“ betiteln, hingegen würden 37% von genügend oder ungenügend sprechen. Die Probleme seien „mannigfaltig“, sagte die Abgeordnete, jedoch nehme diese die Stadtregierung nicht ausreichend wahr. Sie sehe ihre Partei deshalb als „Sprachrohr“ für all jene, die sich nicht gehört fühlen. Die Missstände, die aus dem Gesundheitswesen zu hören seien, wären groß. Es liege in der Verantwortung der Politik, für bessere Rahmenbedingungen zu sorgen. Das kürzlich präsentierte Personalpaket für den WIGEV bezeichnete Huemer als „Placebo“. Der Frust in der Belegschaft sei laut Huemer sehr groß.  Ihre Fraktion habe deshalb ein „dreifaches Rettungspaket“ mitgerbacht, das heute vorgestellt werde.

Für StRin Mag. Judith Pühringer (GRÜNE) ist das Gesundheitswesen ein Thema, das alle betreffe. Dennoch gebe es leider „längst keine Garantie mehr für eine gute Versorgung“. Die Menschen würden das Vertrauen verlieren, das Personal sei massiv überlastet und „schlägt Alarm“, so die Abgeordnete. Wie „dramatisch“ die Situation sei, zeige die angekündigte Streikdemo der Ärzt*innen am kommenden Montag. Für Pühringer erkenne man am Gesundheitssystem „die Qualität der Solidarität in der Gesellschaft“. Es sei für unverständlich, dass Probleme, die bereits vor und in der Pandemie allgegenwärtig waren, einfach ignoriert würden. „Man hört immer nur leer Versprechungen“, sagt sie. Das Personalpaket wolle sie als wichtigen ersten Schritt anerkennen, jedoch sei dieses „viel zu wenig und viel zu spät“. Auch die Bezeichnung „Schmerzensgeld“ ließ Pühringer in diesem Zusammenhang fallen. Umfragen würden eine klare Sprache sprechen: Die Mehrheit traue Stadtrat Hacker nicht zu, die Krise zu lösen. Ihr sei klar, dass das Problem komplex sei und nicht von heute auf morgen lösbar sei. Jedoch helfe „konsequentes Kleinreden und Durchtauchen“ nicht weiter. Die Wiener Grünen würden mit drei „Rettungsringen“ entgegenwirken. Ihre Partei stelle folgende Vorschläge: Unter anderem fordere sie eine bessere Finanzierung für Personalaufstockung in der Pflege und eine Rückkehrprämie für Pflegekräfte, verlässliche Dienstpläne bei Ärzt*innen, ausreichend Zeit für Patient*innen, flexible Arbeitszeiten und eine Strukturreform. Auch das Angebot einer Kinderbetreuung sei essentiell. Weiter sei eine Aufstockung der Präventionsmaßnahmen von großer Bedeutung und ein Ausbau des niedergelassenen Bereichs. Hier gehe die Bundesregierung unter Minister Rauch schon einen guten Weg, behauptete Pühringer. Außerdem spreche sie sich für strukturelle Verbesserungen im WIGEV, Fokus auf Digitalisierung und das Einrichten einer Long-Covid-Ambulanz ein, sagte die Gemeinderätin.

GR Wolfgang Seidl (FPÖ) stimmte der Kritik seiner Vorrednerinnen generell zu. Allerdings mache es ihn nachdenklich, warum den Grünen das während ihre Zeit in der Stadtregierung nicht eingefallen sei. Die Probleme wären, so Seidl, „nicht plötzlich aufgetreten“. Das vorgestellte Personalpaket für die Mitarbeiter*innen des WIGEV bezeichnete er als „nicht so schlecht“. Es könne aber nur der Anfang sein. Allgemein richtete er seine Kritik an den WIGEV, in dem „vieles im Argen“ liege. Das Aufsichtsgremium würde „nicht professionell“ arbeiten, die sieben Spitäler würden im Stillstand verharren. Laut Seidl sei die Klinik Ottakring im heurigen Februar sogar fast „zahlungsunfähig“ gewesen. Seidl sagte, dass bis zum Jahr 2030 rund 9.000 Pfleger*innen fehlen würden. Es helfe hier aber nichts, nur Leute aus dem Ausland zu holen, die dann mit Sprachbarrieren zu kämpfen hätten. Der FP-Gemeinderat kritisierte außerdem die fehlende Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Klinik Floridsdorf sowie die aktuell „rund 700 gesperrten Betten“ in ganz Wien. Damit sei – sinnbildlich – ein ganzes Spital in Wien nicht im Einsatz. Seit Stadtrat Hacker im Amt sei, wäre außerdem nur der Name der Organisation und der Spitäler geändert worden, die Probleme in der Organisation, so Seidl, seien geblieben. Negativ hob er hervor, dass es bisher zu wenige Primärversorgungseinheiten in der Stadt gebe. Mit der Ankündigung der Stadt, bis 2025 36 solcher Zentren zu schaffen, wäre man wohl zum Scheitern verurteilt. Seidl bemängelte, die „monatelangen Wartzeiten auf OP-Termine“ sowie überfüllte Ambulanzen. Unverständnis äußerte er zu den externen Beraterhonoraren im WIGEV, die „täglich umgerechnet 36.000 Euro“ ausmachen würden. Er vermisse hier die sichtbare Leistung, so Seidl.

Für GR Dipl.-Ing. Dr. Stefan Gara (NEOS) gebe es „zweifelsohne viele Engpässe“. Der Stress bei den Mitarbeiter*innen im Gesundheitsbereich und die Unzufriedenheit der Menschen seien bekannt. Jedoch gehe es allen Spitälern so, nicht nur in Wien, sagte Gara. Man drehe in der Stadt deshalb an „mehreren Schrauben“, um die Situation zu verbessern. Zu den Ursachen der aktuellen Thematik zog der NEOS-Gemeinderat Zahlen der vergangenen zwei Jahrzehnte heran: So seien etwa in Wien seit 2003 rund 17% der Betten in Spitälern eingespart worden, gleichzeitig sei auch die Versorgung im niedergelassenen Bereich um 12 % gesunken. Gara richtete seine Kritik an die Bundesregierung: Das Ausrufen von „100 neuen Kassenstellen“ sei zwar löblich, jedoch fehlten die Bewerber*innen dafür. Ursache sei für ihn der „schlechte Leistungskatalog“. Deshalb würden immer mehr Ärzt*innen ins Wahlarzt-System wechseln. Gara forderte deshalb eine „radikale Anpassung“ der Leistungskataloge. Die von Gesundheitsminister Rauch angekündigte „große Gesundheitsreform“ betitelte er als „Reförmchen“. Das Gesundheitssystem sei für ihn zwischen Bund und Ländern besonders „verzahnt“, weshalb man hier mehr zusammenarbeiten müsse. Wien habe mit den Primärversorgungseinheiten schon wichtige Schritte gesetzt. „Vierzehn PVEs sind bereits realisiert, 14 weitere in Gründung“, zählte Gara auf. Dabei seien weitere neun PVEs sowie Zentren für Kinder- und Jugendlich noch gar nicht mitgezählt. Mit dem Personalpaket im WIGEV sei weiters ein wichtiger erster Schritt zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen gelungen. Auch die Verdoppelung der Ausbildungsplätze in der Pflege auf 4.400 werde helfen, so Gara. Mit der Modernisierung der Wiener Kliniken gehe Wien auch hier in Richtung hohe Qualität für die Zukunft. Abschließend sprach sich Gara auch für einen Kultur- und Strukturwandel im Gesundheitssystem in Wien aus. (Forts.) kri

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