COSINUS sucht nach der Dunklen Materie
Im Forschungsprojekt COSINUS sucht ein internationales Team mit Beteiligung von TU Wien und ÖAW nach Hinweisen auf Dunkle Materie. Das Großexperiment startet nun in Italien.
Wie können wir Dunkle Materie verstehen? Sie dürfte rund 85% der Masse im Universum ausmachen, aber was sie ist und woraus sie besteht, ist immer noch eine der größten und schwierigsten Fragen der modernen Physik. In Gran Sasso (Italien) wird nun das Forschungsprojekt COSINUS (Cryogenic Observatory for SIgnatures seen in Next-generation Underground Searches) gestartet, das endlich Klarheit über bisherige, schwer interpretierbare Daten liefern soll. Das Großprojekt ist eine Kooperation des des Max-Planck-Instituts für Physik in München, der TU Wien, des Instituts für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), des Istituto Nazionale di Fisica Nucleare (Italien) und des Helsinki Institute of Physics (Finnland).
Für das COSINUS-Projekt wurde ein spezielles Messgerät entwickelt, in dem ein Kristall auf extrem tiefe Temperaturen gekühlt wird, um die Energie von Teilchen sehr genau messen zu können. Wenn das Universum voll von Dunkler Materie ist, die aus bisher unbekannten Teilchen besteht, dann müsste die Erde auf ihrem Weg durch das All mit diesen Teilchen kollidieren, und diese Kollisionen könnten sich im Messgerät nachweisen lassen.
Ähnliche Daten wurden bereits in einem anderen Experiment (DAMA/LIBRA) gesammelt, mit unerwarteten, bis heute allerdings umstrittenen Ergebnissen. Mit entsprechend großer Spannung blickt die weltweite Physik-Community daher auf die Ergebnisse von COSINUS.
PFLÜGT SICH DIE ERDE DURCH EINEN NEBEL AUS DUNKLER MATERIE?
Die Sonne bewegt sich, zusammen mit all ihren Planeten, mit einer Geschwindigkeit von rund 220 Kilometern pro Sekunde um das Zentrum der Milchstraße. Die Erde wiederum kreist mit einer Geschwindigkeit von rund 30 Kilometern pro Sekunde um die Sonne. „Im Lauf eines Jahres bewegt sich die Erde also auf ihrer Kreisbahn manchmal mit der Bewegungsrichtung der Sonne mit, ein halbes Jahr später in die Gegenrichtung“, sagt Florian Reindl (ÖAW und TU Wien), einer der Leiter des neuen Forschungsprojekts.
Wenn unsere Galaxie von einer Art „Nebel“ aus Dunkler Materie durchdrungen ist, dann würde sich die Erde somit manchmal schneller, dann wieder langsamer durch diesen Dunkle-Materie-Nebel hindurchbewegen. „Ähnlich wie im Regen unterschiedlich viele Regentropfen auf die Windschutzscheibe prasseln, je nachdem wie schnell man fährt, würde man also erwarten, je nach Jahreszeit unterschiedlich viel Dunkle Materie zu detektieren.“
Genau das hat das DAMA/LIBRA Experiment ergeben, das seit 1995 läuft: Man detektierte tatsächlich ein Signal, dessen Intensität sich im Lauf der Jahre regelmäßig veränderte – ein Hinweis auf Dunkle Materie. Doch andere Experimente konnten diese Ergebnisse nicht wiederholen.
„Das ist ein Problem, das die wissenschaftliche Community auf der ganzen Welt seit Jahren beschäftigt“, sagt Florian Reindl. „Wir haben mit unserem neuentwickelten Experiment nun endlich die Chance, dieses Rätsel zu lösen: Wir verwenden in unserem Detektor Natriumiodid, dasselbe Material wie im DAMA/LIBRA-Experiment, so können wir optimale Vergleichbarkeit gewährleisten. Unsere Versuchsaufbau wird aber eine deutlich höhere Genauigkeit erzielen.“
EIN „KÜHLSCHRANK“ FÜR EXTREM TIEFE TEMPERATUREN
Das Herzstück des Experiments ist ein Kryostat – ein Kühlschrank für extrem tiefe Temperaturen, in dem ein Kristall aus Natriumiodid auf 1-2 hundertstel Grad über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt werden kann. Wird dieser Kristall von Teilchen getroffen, entstehen zwei verschiedene Signale: Erstens können dadurch die Atome des Kristalls in Schwingung versetzt werden – das Kristallgitter beginnt zu wackeln und heizt sich auf. Die dabei aufgenommene Wärmeenergie wird extrem genau gemessen. Zweitens entsteht im Kristall auch Licht, und dieses Licht soll im COSINUS-Projekt ebenfalls gemessen werden.
„Nur indem wir beide Signale detektieren, können wir die Energiebilanz der einfallenden Teilchen genau analysieren“, sagt Florian Reindl. Im DAMA/LIBRA Experiment wird nur das Licht, nicht aber die Wärme vermessen.
BEKANNTE ODER UNBEKANNTE TEILCHEN?
Indem man beide Energie-Signale gleichzeitig untersucht, kann man außerdem wertvolle Hinweise darüber erhalten, um welche Teilchen es sich handelt. Das ist wichtig, denn nicht jedes Signal, das man in einem solchen Detektor misst, ist ein Hinweis auf Dunkle Materie, erklärt Florian Reindl: „Es kann sich z.B. auch um gewöhnliche Elektronen handeln, die durch natürliche Radioaktivität entstehen. Oder auch um Neutronen die von Myonen aus dem Weltraum produziert werden.“ Man muss daher den Kristall so gut wie möglich abschirmen. Daher wurde das Experiment im größten Untergrundlabor der Welt aufgebaut, in den Laboratori Nazionali del Gran Sasso (Italien), in einem Bergmassiv rund hundert Kilometer von Rom entfernt . Tief unter der Erdoberfläche, abgeschirmt von 1400 Metern Gestein, kann man dort Messungen durchführen. (Auch das DAMA/LIBRA-Experiment ist dort aufgebaut.)
Außerdem wurden die Detektoren mitten in einem sieben Meter hohen Tank mit hochreinem Wasser platziert. Zusätzlich zu all diesen experimentellen Maßnahmen muss man auch die Daten sehr sorgfältig auswerten und miteinander vergleichen, um die Zuverlässigkeit der Signale wirklich einschätzen zu können.
Offiziell eröffnet wird das COSINUS-Projekt am 18. April 2024 in den Laboratori Nazionali del Gran Sasso, erste Ergebnisse der Messungen sind 2025/26 zu erwarten.
Sven Hartwig
Leiter Öffentlichkeit & Kommunikation
Österreichische Akademie der Wissenschaften
T +43 1 51581-1331
sven.hartwig@oeaw.ac.at
Florian Aigner
Technische Universität Wien
Forschungs-PR
Karlsplatz 13, 1040 Wien
T: +43 1 58801-41027
florian.aigner@tuwien.ac.at
Wissenschaftlicher Kontakt:
Florian Reindl
Österreichische Akademie der Wissenschaften
Institut für Hochenergiephysik
Nikolsdorfer Gasse 18, 1050 Wien
Florian.Reindl@oeaw.ac.at
M: +43 664 544 7021
Technische Universität Wien
Atominstitut
Stadionallee 2, A-1020 Wien
Florian.Reindl@tuwien.ac.at
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