#MehralseinKreuzerl: Das Wahlrecht und seine überholten Regelungen
Vom Alkoholverbot, unterschiedlichen Stimmzetteln für Frauen und einer Wahlpflicht Vom Alkoholverbot, unterschiedlichen Stimmzetteln für Frauen und einer Wahlpflicht
Das Wahlrecht, wie es heute in Österreich gilt, ist nicht in Stein gemeißelt – schon ein Blick ins Vorjahr bestätigt das. Anfang 2023 wurde eine Novelle beschlossen, die ab heuer greift – also auch bei der Nationalratswahl im September schlagend wird. Die wesentlichen Änderungen: Beim Abholen der Wahlkarte bei der zuständigen Behörde wie dem Gemeinde- oder Bezirksamt kann man nun schon seine Stimme am individuellen „Vorwahltag“ abgeben und die Stimmen von Briefwähler:innen werden früher ausgezählt. Dadurch soll bereits am Wahlabend ein Ergebnis vorliegen, das nahe am Endergebnis liegt.
Für diese Änderung brauchte es einen Mehrheitsbeschluss im Parlament. Damit das Wahlrecht überhaupt in Österreich eingeführt werden konnte, brauchte es eine Revolution. 1848 forderten Bürger:innen, Studenten und Arbeiter:innen eine Verfassung und eine gewählte Volksvertretung. Zu dieser Zeit herrschte der Kaiser absolut und ohne jede Beteiligung des Volkes. Die Revolutionär:innen erkämpften die indirekte Wahl eines konstituierenden Reichstags. Die Wähler – darunter keine Frauen, Arbeiter, „Dienstleute“ und Arme – bestimmten Wahlmänner, die dann für die Abgeordneten im Reichstag stimmten. Schon bald wurde der Reichstag wieder aufgelöst und Kaiser Franz Joseph I. regierte dann absolut. Die Umsetzung einer Volksvertretung tauchte dann erst in den 1860er-Jahren wieder auf, auch auf Gemeindeebene. Bis zu den ersten direkten Wahlen dauerte es jedoch: Erst 1873 wurden Abgeordnete direkt gewählt.
Anfangs war das Wahlrecht an Besitz und Steuerleistung sowie an sogenannte „Intelligenzberufe“ (wie Priester und Universitätsprofessor) gekoppelt – dabei war das Geschlecht unerheblich und so war auch so manche Gutsherrin wahlberechtigt. Allerdings durfte kaum eine Frau selbst das Wahllokal betreten. In der Praxis funktionierte das dann so: Der Ehemann oder etwa der Bruder musste die Stimme für die Frau abgeben. Außerdem waren auch die besitzenden und steuerzahlenden Frauen nicht auf allen politischen Ebenen und auch nicht überall wahlberechtigt: Im Gegensatz zu anderen Lokalverwaltungen – wie etwa in den Wiener Vororten – waren steuerzahlende und grundbesitzende Frauen in Städten mit eigenem Statut (wie Wien und Prag) nicht wahlberechtigt. Politikwissenschaftlerin Tamara Ehs weist im Gespräch mit der Parlamentskorrespondenz darauf hin, dass dieser Umstand dazu führte, dass vormals wahlberechtigte Frauen durch die Eingemeindung der Wiener Vororte (Bezirke 11 bis 19) im Jahr 1890 ihr Wahlrecht verloren, was großen Unmut erzeugte und der Frauenwahlrechtsbewegung neuen Auftrieb verschaffte.
Die Ungleichbehandlung der Frauen untereinander sollte sich aber mit der Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Männerwahlrechts 1907 durch die Reichsratsordnung auflösen: Die wenigen vormals wahlberechtigten Frauen wurden damit generell von der Wahl ausgeschlossen. Elf Jahre später – im November 1918 – wurde schließlich das allgemeine und gleiche Frauenwahlrecht verfassungsrechtlich verankert. 1919 durften die Frauen dann erstmals wählen – alle, außer die Prostituierten, ihre Kunden allerdings waren sehr wohl wahlberechtigt. Das änderte sich erst 1923.
FRAUENWAHLRECHT BRACHTE UNTERSCHIEDLICHE STIMMZETTEL UND WAHLPFLICHT
Die Einführung des Frauenwahlrechts hatte weitere Änderungen hinsichtlich Wahlen zur Folge – eine davon war die Wahlpflicht. Man war sich nicht sicher, ob Frauen aller Weltanschauungen zur Wahl gehen oder insbesondere die katholischen Frauen zu Hause bleiben würden. Tamara Ehs erklärt das so: „Die Diskussion zur Einführung einer Wahlpflicht in der Ersten Republik ging auf die Christlichsoziale Partei zurück. Denn das Frauenwahlrecht stand schon seit 1892 im Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Daher hatten vor allem die Konservativen Sorge, dass die brave, christliche Frau das Wählen dem Mann überlassen und die rebellische, sozialdemokratische hingegen bestimmt wählen gehen würde. Bevor man die Wahlpflicht beschloss, gab es aber noch andere Ideen: Ignaz Seipel hatte zuerst vorgeschlagen, dass Frauen nur in einer eigenen Kurie wählen dürfen. Und Christlichsoziale und Deutschnationale stellten den Antrag, bei Frauen eine höhere Altersgrenze mit 30 Jahren zu ziehen, damit sie nicht wahlentscheidend sind. Denn: Kriegsbedingt stellten Frauen mit 54 % die große Mehrheit der Wählerschaft.“
Als Karl Renner gegen diese Ideen mit einer Arbeiteraufstand drohte, einigte man sich auf eine Wahlpflicht, die einzelne Bundesländer freiwillig einführen könnten. So führten Tirol und Vorarlberg die Verpflichtung zur Wahl des Parlaments daher 1919 ein. 1949 folgte auch die Steiermark. Erst 1986 entschloss sich Kärnten dafür – doch schon 1992 wurde die Wahlpflicht bei Nationalratswahlen für alle Bundesländer aufgehoben. Weil eben die Frauen als unbekannte Größe galten und man mehr über ihr Stimmverhalten herausfinden wollte, wurden verschiedenfarbige Stimmzettel bzw. Kuverts eingeführt oder es gab zwei Urnen – eine für Männer, eine für Frauen. Das wurde von der Staatsregierung 1920 und vom Parlament in der Nationalratswahlordnung 1923 verankert und erstmals bei den Wahlen 1927 praktiziert. In der Zweiten Republik wurde diese Regelung allerdings nicht mehr aufgenommen, sondern blieb den Bundesländern überlassen:Zwischen 1954 und 1991 erfolgte in Wien eine gesonderte Auszählung der männlichen und weiblichen Wählerstimmen, weil es hier noch länger Stimmkuverts in unterschiedlichen Farben gab.
ALKOHOLAUSSCHANK VOR DER WAHL STAND UNTER STRAFE
Ein Relikt vergangener Zeit ist auch das „Schankverbot“ vor Wahlen. 1918 wurde Wirt:innen verboten, „geistige Getränke“ am Wahltag auszuschenken. Ab 1923 wurde gestraft. Wollte oder konnte eine Geldstrafe nicht bezahlt werden, drohten 14 Tage Arrest. Auch in der Zweiten Republik wurde der Alkoholausschank nicht erlaubt – der Zeitraum dafür wurde sogar noch weiter gefasst: Von 20.00 Uhr am Tag vor der Wahl bis 20.00 Uhr am Wahltag. Erst bei der Wahl 1969 wurde das Verbot gelockert – bereits eine Stunde nach dem Schließen des örtlichen Wahllokals durften alkoholische Getränke an die Gäste ausgegeben werden. Bestehen sollte das Verbot des Alkoholausschanks für Wirt:innen noch bis 1979. (Schluss) map
HINWEIS: Mehr Informationen zum Wahljahr 2024 finden Sie unter http://www.parlament.gv.at/mehralseinkreuzerl.
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