IV-KONJUNKTURBAROMETER: REZESSION PROLONGIERT

IV-GS Neumayer/IV-Chefökonom Helmenstein: Industrie vor einem dritten Rezessionsjahr – Wirtschaft in struktureller Krise – Disruptiver wirtschaftspolitischer Kurswechsel notwendig

„Seit der Sommer-Konjunkturerhebung hat sich die wirtschaftliche Lage in Österreich nicht aufgehellt, im Gegenteil. Im Herbst 2024 präsentiert sich ein ernüchterndes Lagebild. Nach wie vor ist keine fundamentale Besserung in Sicht. Die österreichische Gesamtwirtschaft befindet sich im zweiten Rezessionsjahr, die österreichische Industrie sogar in ihrem dritten. Die Ergebnisse der aktuellen Konjunkturumfrage tragen dennoch keine Anzeichen für eine Wende zum Besseren, die Rezession ist mithin prolongiert“, fasst IV-Generalsekretär Christoph Neumayer den Hauptbefund der aktuellen IV-Konjunkturumfrage zusammen. „Dem steht nicht entgegen, dass die konjunkturelle Komponente im nächsten Jahr, die insbesondere aus der Zinsentwicklung, den Reallohnzuwächsen und dem Auslaufen des Lagerzyklus‘ gespeist wird, zu einer leichten, aber eben zyklischen und damit lediglich mageren und vorübergehenden Aufwärtsbewegung führen wird.“

WIRTSCHAFT IN STRUKTURELLER KRISE – LANGJÄHRIGE STAGNATION DROHT 

„Die strukturelle Komponente hingegen wirkt den konjunkturellen Erholungstendenzen diametral entgegen, droht sie zu ersticken, jedenfalls aber zu hemmen“, so IV-Chefökonom Christian Helmenstein. „Dies gilt für die im internationalen Vergleich nach wie vor hohen Energiepreise in Österreich, die galoppierende Lohnstückkostendynamik sowie die regulatorische Belastung der Unternehmen.“ Infolge des ab dem Jahreswechsel ungeklärten Gastransits durch die Ukraine weisen die Gaspreise seit März dieses Jahres wieder eine steigende Tendenz auf. Die Lohnstückkostendynamik infolge des Auseinanderklaffens von Nominallohnabschlüssen einerseits und (ausbleibenden) Fortschritten bei der Arbeitsproduktivität andererseits hat ein wettbewerbsfähigkeitsgefährdendes Ausmaß angenommen. Eklatant ist auch die hemmende Wirkung der Überbürokratisierung, welche sich angesichts einer Brüsseler Rechtsetzungs-Pipeline mit aktuell über vierhundert weiteren delegierten Rechtsakten in naher Zukunft nochmals drastisch verschärfen wird.

Während sich die zinspolitischen Rahmenbedingungen angesichts zurückgehender Inflationsraten zu entspannen beginnen, werden die konjunkturellen Aussichten von den fiskalpolitischen Rahmenbedingungen zusätzlich belastet. Um zu einem strukturell nachhaltigen Budgetdefizit zurückzukehren, implizieren die Herbstprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute einen Konsolidierungsbedarf im Ausmaß von mindestens 3,5% der Wirtschaftsleistung, woraus sich ein weiterer kurzfristiger Momentumverlust gegenüber einem Szenario ohne entsprechende Konsolidierungsnotwendigkeit ableitet. Dennoch ist die Sanierung der öffentlichen Haushalte unumgänglich, nicht nur aus europarechtlichen Gründen und um mittel- bis langfristig wieder budgetäre Handlungsspielräume zurückzugewinnen, sondern auch, um die Erwartungen von Haushalten und Unternehmen zu stabilisieren und dadurch die Konsum- und Investitionsbereitschaft zu unterstützen. Dies gilt umso mehr, als die Finanzierungskosten der Staatsverschuldung mittlerweile wieder signifikant zunehmen.

DISRUPTIVER WIRTSCHAFTSPOLITISCHER KURSWECHSEL NOTWENDIG

Im Ergebnis befindet sich die österreichische Wirtschaft in einer tiefgreifenden Strukturkrise. Ohne unverzügliches Gegensteuern durch einen disruptiven wirtschaftspolitischen Kurswechsel verharrt Österreich für die undefinierte Zukunft in einer Ära der Stagnation. Das während der letzten 75 Jahre erfolgreich praktizierte, wohlstandsmehrende „Geschäftsmodell der Österreich AG“ ist in seinem Bestand gefährdet. Träge dies ein, würde die soziale Marktwirtschaft im Ergebnis ihr bis dato ausnahmslos eingelöstes Verhalten nicht mehr halten können, dass es der nächsten Generation besser als allen vorhergehenden gehen soll. „Weiteres Schönreden geht sich nicht mehr aus. Wir müssen nun die Ärmel aufkrempeln, die Situation anerkennen und auch dementsprechend handeln“, appelliert IV-Generalsekretär Neumayer an die künftige Bundesregierung: „Es ist Feuer am Dach.“

DIE ERGEBNISSE DER AKTUELLEN IV-KONJUNKTURUMFRAGE

Die Einschätzung der AKTUELLEN GESCHÄFTSLAGE durch die Unternehmen fällt nunmehr seit bereits dreizehn (!) Quartalen ununterbrochen schwächer aus und entfernt sich dementsprechend immer weiter von der Nulllinie. Beunruhigend ist auch, dass die Dynamik des Rückganges unvermindert anhält, sodass der aktuelle Saldo bei -15 Punkten (nach zuvor -9 Punkten) zu liegen kommt. 

Nach einer kurzen Zwischenerholung zum letzten Termin verschlechtert sich die EINSCHÄTZUNG DER GESCHÄFTSLAGE IN SECHS MONATEN um 13 Punkte und verzeichnet bei einem Saldo von -11 Punkten wieder eine Vorzeichenumkehr in negatives Terrain. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Anteil der Respondenten, die auf Sicht des nächsten Halbjahres mit einer Verbesserung der Geschäftslage rechnen, auf nur noch 8% zurückgeht, während 19% ein weiterhin schrumpfendes Geschäftsvolumen auf Sicht des nächsten Halbjahres erwarten. Knapp drei Viertel der Unternehmen – 73% – stellen sich auf eine stagnative Entwicklung ein.

Beide Indikatoren zeigen somit noch keine konjunkturelle Wende in Richtung einer Konjunkturerholung oder gar eines Aufschwunges an, im Gegenteil. Per saldo sinkt das IV-KONJUNKTURBAROMETER, welches als (gewichteter) Mittelwert aus den Beurteilungen der gegenwärtigen Geschäftslage und der Geschäftslage in sechs Monaten berechnet wird, mit einer Veränderung um über 9 Punkte auf -13,0 Punkte abermals beträchtlich. Dieses Ergebnis unterstreicht die Erwartung einer prolongierten Rezessionsphase in der österreichischen Industrie. 

Mit einem Saldo von -14 nach zuvor -12 Punkten befinden sich die GESAMTAUFTRAGSBESTÄNDE in der Industrie in weiter Entfernung von einem aufschwungsaffinen Niveau. Der Anteil der Unternehmen mit derzeit unterausgelasteten Produktionskapazitäten verharrt bei 32% aller Respondenten, während der Anteil jener mit gutem Auftragsbestand abermals, und zwar um 2 Prozentpunkte, auf 18 Prozent fällt.  Der Verlust an Auftragsreichweite setzt sich damit moderat weiter fort.

Allenfalls bei der Subkomponente der AUSLANDSAUFTRÄGE ist eine Tendenz zur Stabilisierung zu erkennen (Saldo -5 nach -8 im Vorquartal). Hierdurch kommt zum Ausdruck, dass die österreichische Industrie mit anhaltenden Schwierigkeiten konfrontiert ist, ihre globale Marktposition zu halten. Etwas unterstützend wirkt jedoch, dass bezüglich der Auslandsaufträge auf Drittmärkten nahezu kein aufwertungsbedingter Gegenwind mehr besteht, da die europäische Gemeinschaftswährung – bei zwischenzeitlich erheblichen Schwankungen – gegenüber dem US-Dollar zuletzt wieder abgewertet hat.

Angesichts des anhaltend negativen Konjunkturbildes, vor allem der insgesamt unzureichenden Auftragsbestände, nehmen die Unternehmen in saisonbereinigter Betrachtung ihre kurzfristigen PRODUKTIONSERWARTUNGEN markant auf -21 Punkte von zuvor -13 Punkten zurück. Dieser Befund bringt ein wieder zunehmendes Tempo der Produktionsrücknahme zum Ausdruck.

Die weiterhin negativen Produktionserwartungen belasten die BESCHÄFTIGUNGSAUSSICHTEN in der Industrie erheblich. Der Wert stellt sich auf -34 Punkte nach zuvor -25 Punkten. Hinter dieser Saldenbetrachtung verbirgt sich eine auf ein Rekordtief sinkende Einstellungsneigung der Unternehmen. Nur noch 5% der Respondenten (nach zuvor 8%) trachten binnen des laufenden Quartals nach einer Ausweitung ihres Beschäftigtenstandes, während 39% (nach zuvor 33%) der Respondenten (weitere) Beschäftigungsverluste erwarten. Die anhaltende Eintrübung der Beschäftigungsaussichten bringt eine grundlegend veränderte Haltung einer zunehmenden Anzahl von Unternehmen in ihrer Humanvermögensstrategie zum Ausdruck. Einerseits wird die Aufschwungserwartung revidiert, andererseits sind die Kosten für das Horten von Arbeitskräften drastisch angestiegen. Es ist diese Koinzidenz, die nunmehr dazu führt, dass Arbeitsvolumen trotz eines mittelfristig zu antizipierenden Arbeitskräftemangels in mitunter erheblicher Größenordnung abgebaut wird. Im Ergebnis ist mit einer höheren Fluktuation von Arbeitskräften innerhalb der Industrie, aber auch über Sektorgrenzen hinweg sowie in die sozialen Sicherungssysteme und in die Herkunftsländer ausländischer Beschäftigter zu rechnen.

Auf der Ebene der ERZEUGERPREISE bleibt das deflatorische Szenario angesichts einer anhaltenden und noch weiter zunehmenden Unterauslastung der Produktionskapazitäten aufrecht. Dem Gros der Industrieunternehmen gelingt es nicht, die hohe Kostenbelastung zumindest teilweise auf die Preise zu überwälzen, sodass der Saldo nahezu unverändert bei -13 Punkten (nach -14 Punkte) verharrt. Von der Industriegüterkomponente wird daher in den kommenden Monaten weiterhin eine disinflatorische Wirkung ausgehen. Dennoch hängt die weitere Dynamik bei den Verbraucherpreisen in Österreich wesentlich davon ab, ob und in welchem Ausmaß auch der Dienstleistungssektor in den kommenden Quartalen einen der Geldwertstabilität förderlichen Beitrag in seinen Preisgestaltungen erbringt – und ob weitere Preisschocks bei der Versorgung mit fossilen Energieträgern ausbleiben.

Die Vielzahl der konjunkturellen Störfaktoren belastet die derzeitige ERTRAGSLAGE der Unternehmen in ausgeprägter Weise. Bei einem Saldo von -30 Punkten (nach zuvor -16 Punkten) berichten knapp vier von zehn Unternehmen (39%) von einer dezidiert schlechten, hingegen nur noch jedes elfte Unternehmen (9%) von einer guten Ertragslage. Auch bei den ERTRAGSERWARTUNGEN auf Sicht von sechs Monaten sehen die Unternehmen keine Verbesserung ihrer Ertragslage (Saldo -10 nach -12) kommen. Während 20% der Unternehmen mit weiteren Ertragseinbußen rechnen, erwarten nur 10% der Unternehmen eine Verbesserung ihrer Ertragslage. Ein investitionsgetragener Aufschwung rückt damit in immer weitere Ferne.

DIE IV-KONJUNKTURUMFRAGE: ZUR BEFRAGUNGSMETHODE

An der jüngsten Konjunkturumfrage der Industriellenvereinigung beteiligten sich 402 Unternehmen mit rund 301.488 Beschäftigten. Bei der Konjunkturumfrage der IV kommt folgende Methode zur Anwendung: Den Unternehmen werden drei Antwortmöglichkeiten vorgelegt: positiv, neutral und negativ. Errechnet werden die (beschäftigungsgewichteten) Prozentanteile dieser Antwortkategorien, sodann wird der konjunktursensible „Saldo“ aus den Prozentanteilen positiver und negativer Antworten unter Vernachlässigung der neutralen gebildet.

Marlena Mayer
Telefon: +436648412915
E-Mail: marlena.mayer@iv.at
Website: https://www.iv.at/

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