Bundesrat rückt alternde Bevölkerung und die Herausforderungen für das Gesundheits- und Pflegesystem in den Fokus
Expert:innenforum suchte nach Antworten auf den demografischen Wandel
„2050 werden Menschen über 60 Jahre rund ein Drittel unserer Gesellschaft ausmachen“, mit diesen Worten eröffnete Bundesratspräsident Franz Ebner die Pressekonferenz im Anschluss an ein Expertenforum zu den Auswirkungen des demografischen Wandels auf das Gesundheits- und Pflegesystem im Parlament. Der demografische Wandel sei planbar und müsse daher aktiv gestaltet werden. Mit dieser Veranstaltung am Mittwochvormittag wollte Ebner einen Beitrag dazu leisten, wie er selbst ausführte.
Ebner betonte, dass mit steigendem Alter auch die Wahrscheinlichkeit, Pflege in Anspruch nehmen zu müssen, steige. Die Diskussion über die Zukunft der Pflege stehe im Spannungsfeld zwischen Finanzierung, Qualität und Absicherung, betonte der Bundesratspräsident. Als entscheidenden Punkt benennt er die Personalfrage. Es gelte, jene, die schon in der Pflege tätig seien, im Beruf zu halten und neue Menschen dafür zu gewinnen. Neben dem steigenden Bedarf an Pflege, steige auch der Bedarf an ärztlicher Versorgung. Die Alterung der Gesellschaft stelle auch das Gesundheitswesen vor große Herausforderungen. „Wir brauchen deshalb einen Paradigmenwechsel von der Reparaturmedizin zur Vorsorgemedizin“, so Ebner. Konkret schlägt er vor, dass Vorsorgeuntersuchungen im Zweijahresrhythmus ab einem gewissen Alter mit „Anreizen, etwa finanzieller Art“ verknüpft werden sollten.
Dem Vorsitzenden des Bundesrates war es wichtig zu betonen, welchen „wertvollen Beitrag zum Gelingen der Gesellschaft“ die ältere Generation leiste. Nicht nur mit ihrem Engagement in Vereinen und im Ehrenamt, auch in der Pflege, immerhin würden zwei Drittel der pflegenden Angehörigen bereits selbst in Pension sein. „Ich bin davon überzeugt, dass ein Miteinander der Generationen der Schlüssel für ein Altern in Würde ist“, schloss Ebner.
STATISTIKERIN FUCHS: 2080 WERDEN 13 % ÜBER 80 JAHRE ALT SEIN, HEUTE SIND ES 6 %
Die Zahlen an denen der demografische Wandel ablesbar ist, liefert unter anderem die Statistik Austria. Sie erstellt auch Prognosen. Regina Fuchs, Direktorin Bevölkerungsstatistik bei der Statistik Austria, erklärte, dass ein Blick in die Statistischen Nachrichten 1993 zeige, dass man geglaubt habe, dass mehr Kinder geboren werden würden. Auch die Lebenserwartungen bei Männern sei stärker gestiegen, als erwartet. Die Migration habe man allerdings deutlich unterschätzt. Um die mögliche Bandbreite der künftigen Entwicklung bestmöglich abschätzen zu können, würden in heutigen Bevölkerungsprognosen mehrere Varianten erstellt, erläuterte Fuchs. Das Hauptergebnis sei: „Wir wachsen weiterhin. Aber nur durch Zuwanderung. Mitte der 2060er wird die 10-Millionen-Marke erreicht.“ Schon 2023 lebten mehr Senior:innen über 65 Jahre in Österreich, als Kinder und Jugendliche unter 20 Jahre, der Trend setze sich fort. Damit würde auch der Teil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter schrumpfen. Laut Fuchs sind heute 6 % über 80 Jahre alt, bis 2080 werden es 13 % sein. Die Expertin betonte zwar, dass alle Angaben mit Unsicherheiten verbunden seien, dass man die guten Daten allerdings nutzen und in politische Entscheidungsprozesse einbinden sollte.
IHS-PFLEGESPRECHERIN RIEDEL: MEHRBEDARF VON 70.000 PERSONEN BEI LANGZEITPFLEGE BIS 2050
Die Zahlen kennend, setzte Monika Riedel, Gesundheitsökonomin und Pflegesprecherin am Institut für Höhere Studien (IHS) fort, dass diese Entwicklungen dazu führen, dass der Bedarf an Pflege scherenartig vergrößert werde. Unterschiedliche Prognoserechnungen würden einen steigenden Bedarf an Personen mit Pflegeberufen von rund 18.000 bis 2030, bis 2050 von über 70.000 Personen allein im Bereich der Langzeitpflege ergeben. „Zum Vergleich: im Jahr 2021 waren knapp 70.000 Personen in der Langzeitpflege beschäftigt“, erläuterte Riedel. Rund 80 % der Pflege würde laut Schätzungen derzeit von pflegenden Angehörigen übernommen, doch auch dieses Potenzial würde sinken. Sie nannte Gründe wie die geringere Kinderzahl, längere Erwerbszeiten, oder größere örtliche Distanz. Riedel ist sicher, dass die Nachfrage nach struktureller Pflege steigen werde und damit auch die Ausgaben. Es werde einen Konkurrenzkampf um das Personal geben, was die Kosten weiter antreiben werde. Für Riedel ist ganz klar, dass nicht auf die Prävention vergessen werden dürfte, um den Pflegebedarf möglichst gering zu halten.
ÖKONOM BACHNER SPRICHT VOM „TRILEMMA“ FÜR DAS GESUNDHEITSWESEN
Florian Bachner, Experte für Gesundheitsökonomie, spricht von einem „Trilemma“ für das Gesundheitswesen. Die demografische Alterung führe zu einer steigenden Nachfrage nach Gesundheitsleistungen. Dieser Nachfrage stünden immer weniger Erwerbstätige gegenüber und das Gesundheitspersonal verknappe sich. Weniger Erwerbstätige würden eine reduzierte Finanzierungsgrundlage für das Gesundheitssystem bedeuten, da die Steuer- und Beitragsgrundlagen reduziert würden. „Das umlagefinanzierte Sozialversicherungssystem gerät unter Finanzierungsdruck und ist zunehmend auf staatliche Zuschüsse angewiesen“, so Bachner. Bereits jetzt würden die Gesundheitsausgaben stärker als das Bruttoinlandsprodukt wachsen, immer mehr werde für Gesundheit ausgegeben und das werde sich laut Bachner auch so fortsetzen. Da steigende Ausgaben einer kleiner werdenden Finanzierungsgrundlage gegenüber stünden, brauche es eine Erhöhung der Erwerbsquote, es brauche die Migration – gezieltes hereinholen von Gesundheitsfachkräften, wie Bachner vorschlägt.
Außerdem sieht er Effizienzpotenziale durch den Einsatz von Technologie, um die ökonomischen Auswirkungen von Bevölkerungsalterung zu mildern.
Sozialforscher Kolland: Gelingendes Altern fördern
Sozial- und Gesundheitsforscher Franz Kolland betonte, dass er den demografischen Wandel nicht als „Problem“, sondern im Gegenteil den Zuwachs an Lebensjahren als Gewinn sehe. Die Menschheit habe Jahre gewonnen, die sie nutzen könne etwa für kulturelles Handeln, für Freiwilligenarbeit, ist Kolland überzeugt. „Nicht jeder ist pflegebedürftig, der alt ist. 10 bis 15 % der Über-90-Jährigen beziehen kein Pflegegeld, sie benötigen keine Hilfe“, betonte Kolland. Das Alter würde immer am Kalender gemessen, dabei gebe es große Unterschiede. „Ab einem gewissen Alter schreiben wir Personen gewisse Dinge einfach ab“, so Kolland. Auch in der Vorausschau werde das Alter immer in diese Richtung bemessen. In der Alternsforschung schlage man allerdings etwas anderes vor: „Gelingendes, optimales Altern“. Dafür seien drei Elemente wesentlich, einerseits die Gesundheit und die entsprechende Gesundheitsvorsorge, wobei stärker an Prävention gedacht und der Lebenslauf in den Blick genommen werden müsste. Das zweite Element sei die kognitive Leistungsfähigkeit. Kognitive Leistung müsste auch im Alter noch stimuliert und angetrieben werden. Und andererseits die sozialen Beziehungen, die zum Wohlbefinden beitragen würden, führte Kolland aus. Es sei wichtig, dass Ältere das Gefühl haben, gebraucht zu werden.
PLAKOLM SIEHT GUTE CHANCE FÜR PFLEGEBERUFE ALS BERUFSWAHL VON JUNGEN
Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm assoziiert mit der Generation Z „Generation Zuversicht“. Trotz der wachsenden Herausforderungen im Pflegesektor, sagte Plakolm: „Das Gute ist, die Pflege ist bereits großes Thema unter jungen Leuten. 80 % sehen ganz klar Handlungsbedarf.“ Darin sieht sie eine Chance. Die Pflege sei ein Berufsfeld bei „dem der Sinn der Arbeit direkt und deutlich spürbar“ sei. Und gerade die Frage nach dem Sinn beim Beruf werde bei jungen Menschen immer bedeutsamer. Plakolm spricht von einem bevorstehenden Imagewandel bei den Pflegeberufen, ähnlich wie bei jenem der Informatiker:innen, der nun einer der gefragtesten Berufe ist. „Vor 15 Jahren war das Bild vom Informatiker noch ein anderes. In Zukunft werden sich die Bundesländer um die Pflegekräfte matchen, der Beruf wird sich in den kommenden Jahren ganz stark durch Innovationen wandeln“, betonte sie. Den Zivildienst sieht sie als gute Chance, junge Männer für einen Beruf im Sozialbereich zu gewinnen. Dass die neun Monate beim Zivildienst bei Pflegeausbildungen wie etwa der Pflegelehre nun mit bis zu einem halben Jahr angerechnet werden könnten, sieht sie als wichtige Maßnahme der Bundesregierung. (Schluss) map
HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung sowie eine Nachschau auf vergangene Veranstaltungen finden Sie im Webportal des Parlaments. Das Expert:innenforum wurde live in der Mediathek des Parlaments übertragen und ist dort als Video-on-Demand abrufbar.
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