Jugendliche mit selbstverletzendem Verhalten reagieren verstärkt auf Bilder von Selbstverletzungen in sozialen Medien
EINE AKTUELLE STUDIE DER MEDIZINISCHEN UNIVERSITÄT WIEN ZEIGT, DASS JUGENDLICHE MIT EINER VORGESCHICHTE VON NICHT-SUIZIDALEM SELBSTVERLETZENDEM VERHALTEN (NSSV) EINE ERHÖHTE AUFMERKSAMKEIT FÜR BILDER VON SELBSTVERLETZUNGEN IN SOZIALEN MEDIEN AUFWEISEN. DIESE AUFMERKSAMKEITSVERZERRUNG – DAS VERSTÄRKTE UND SCHNELLERE FIXIEREN SOLCHER INHALTE – ERHÖHT DEN DRANG, SICH SELBST ZU VERLETZEN. DIE ERKENNTNISSE UNTERSTREICHEN DIE DRINGLICHKEIT, PRÄVENTIONS- UND INTERVENTIONSMASSNAHMEN ZU VERSTÄRKEN, UM POTENZIELLE RISIKEN SOZIALER MEDIEN FÜR GEFÄHRDETE JUGENDLICHE ZU MINIMIEREN. DIE STUDIE WURDE IM JOURNAL JAMA NETWORK OPEN VERÖFFENTLICHT.
In der Untersuchung einer Forschungsgruppe an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien wurden Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren mit und ohne NSSV-Erfahrungen analysiert. Dabei setzten die Forscher:innen Eye-Tracking-Technologie ein, um die Blickrichtung und Dauer der Fixierungen auf unterschiedliche visuelle Stimuli zu messen. Zusätzlich kam ein Dot-Probe-Task zum Einsatz, der Reaktionszeiten auf NSSV-Bilder gegenüber neutralen Bildern erfasst. Die Ergebnisse zeigen klar, dass Jugendliche mit NSSV-Erfahrungen deutlich stärker auf Selbstverletzungsbilder reagieren als auf neutrale Inhalte und Schwierigkeiten haben, ihre Aufmerksamkeit von diesen abzuwenden.
Ein bemerkenswerter Aspekt der Ergebnisse ist, dass die verstärkte Aufmerksamkeit und der erhöhte Drang zur Selbstverletzung zwar bei Bildern auftreten, jedoch nicht bei Texten, die sich mit Selbstverletzung befassen. Die Kontrollgruppe ohne NSSV-Vorgeschichte zeigte dagegen keine vergleichbare Reaktion auf die NSSV-Bilder, was darauf hindeutet, dass diese Inhalte für Jugendliche ohne entsprechende Vorerfahrung weniger problematisch sind.
„Unsere Studie zeigt, dass visuelle Inhalte in sozialen Medien erheblich zur Verstärkung des Selbstverletzungsdrangs beitragen können, insbesondere bei bereits gefährdeten Jugendlichen“, erklärt Erstautor Andreas Goreis von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien. „Diese Erkenntnisse unterstreichen die Notwendigkeit, Jugendliche besser auf den Umgang mit solchen Bildern vorzubereiten und ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, um ihre emotionale Regulation zu verbessern und sich von belastenden Reizen zu distanzieren“, ergänzt Studienleiter Oswald Kothgassner.
Die Studie legt nahe, dass physiologische Stressreaktionen wie Herzfrequenz oder Hautleitfähigkeit zwar keine signifikanten Unterschiede bei der Konfrontation mit den Bildern zeigen, doch psychisch können die Effekte belastend sein. Fachleute und Behandelnde sollten daher in Bezug auf die potenziellen Trigger durch solche Bilder aufmerksam sein und dieses Thema aktiv im Dialog mit Betroffenen aufgreifen.
Mit den gewonnenen Erkenntnissen leistet die Studie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Mechanismen, wie visuelle Inhalte in sozialen Medien Jugendliche mit NSSV beeinflussen können. Die Forscher:innen empfehlen Maßnahmen zur Verbesserung emotionaler Regulationsfähigkeiten und Sensibilisierungsprogramme, um den Risiken dieser Medieninhalte präventiv entgegenzuwirken.
PUBLIKATION: JAMA NETWORK OPEN
Mag. Johannes Angerer
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