DPI-Studie zeigt Verbindung von islamistischen und ethnonationalistischen Vorstellungen auf
„Sittenwächter“-Aktivitäten in der tschetschenischen Community beziehen sich neben der Scharia auf das Gewohnheitsrecht Adat.
Die Dokumentationsstelle Politischer Islam (DPI) hat in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) eine Studie zur tschetschenischen Diaspora veröffentlicht. Die Publikation mit dem Titel „Jihadismus und ‚Sittenwächter‘ in Europas tschetschenischer Community“ basiert unter anderem auf in Wien durchgeführten Interviews und bietet neben Einblicken in die tschetschenische Gesellschaft sowie Geschichte vor allem eine aktuelle Analyse der Diaspora-Gemeinschaften. Erhoben wurden etwa soziokulturelle, ethnonationalistische und religiöse Einstellungen, in denen oftmals die Ursachen für Radikalisierung geortet werden. „Internationale Forschungskooperationen wie jene mit der DGAP sind für die Dokumentationsstelle wichtig, da sie es ermöglichen, über Österreich hinausreichende transnationale Strukturen angemessen zu analysieren. Mit einem Fokus auf traditionelle Familienstrukturen, Gewohnheitsrecht und Religion hat die Studie Bereiche einbezogen, denen in tschetschenischen Communities in der Diaspora eine bedeutende Rolle zukommt“, so Lisa Fellhofer, Direktorin der Dokumentationsstelle Politischer Islam.
Laut Schätzungen beheimatet Österreich europaweit eine der größten tschetschenischen Gemeinschaften, die ein kollektives Trauma verbindet. Unter diesen war der Anteil derjenigen, die sich jihadistischen Gruppierungen in Syrien anschließen wollten, oder tatsächlich in das Gebiet des Islamischen Staates (IS) ausgereist sind, besonders hoch. Polarisierungen aufgrund anhaltender politischer Konflikte in der tschetschenischen Diaspora machen vor allem junge Erwachsene für die Propaganda islamistischer Gruppen anfällig, die im tschetschenischen Widerstand eine führende Rolle einnehmen. Zu den wichtigsten Motiven für eine Ausreise nach Syrien gehörte neben dem Kampf gegen Russland die Möglichkeit, der globalen muslimischen Gemeinschaft (_Umma_) beizustehen, und sich einer „größeren Sache“ anzuschließen.
„SITTENWÄCHTER“ UND PATRIARCHALE STRUKTUREN
Immer wieder geraten „Sittenwächter“ in die Schlagzeilen, wenn männliche Jugendliche mit tschetschenischem Hintergrund islamisches Recht (_Scharia_) gemäß ihrer eigenen strengen Interpretation umsetzen wollen. Wie die Analyse aufzeigt, beziehen sich die Jugendlichen aber auch stark auf das von vorislamischen Traditionen beeinflusste tschetschenische Gewohnheitsrecht _Adat_, welches streng patriarchal ausgerichtet ist. Die „Sittenwächter“ fokussieren sich vor allem auf die Verhaltensweisen von Mädchen und Frauen der eigenen Community, womit versucht wird, deren Selbstbestimmungsrecht zu unterbinden. Sie richten sich ganz besonders gegen „westliche“ Verhaltensformen und wollen die „tschetschenische Blutlinie“ erhalten. Ein Hauptmotiv liegt laut den Studienergebnissen darin, Beziehungen und Ehen von Tschetscheninnen mit von außerhalb der Gemeinschaft stammenden Männern zu verhindern. Ihre Aktivitäten organisieren die „Sittenwächter“ über relativ informelle, nicht-hierarchische dezentrale Online-Chatgruppen. Die Ursachen für diese Entwicklung liegen, wie die Studie aufzeigt, vor allem in einer Perspektivenlosigkeit der Jugendlichen und ihrer ethnonationalistischen Einstellung in Kombination mit der Instrumentalisierung der Religion als „Widerstandsideologie“.
Die Studie sowie alle weiteren Publikationen des Österreichischen Fonds zur Dokumentation von religiös motiviertem politischen Extremismus (Dokumentationsstelle Politischer Islam) können auf der Website www.dokumentationsstelle.at abgerufen werden.
Dokumentationsstelle Politischer Islam
Sascha Krikler, BA MA
E-Mail: sascha.krikler@dokumentationsstelle.at
Website: https://www.dokumentationsstelle.at
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
© Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender
Kommentare sind geschlossen, aber trackbacks und Pingbacks sind offen.