Veröffentlichung von Geisel-Video der Hamas geringfügiger Ethikverstoß

Nach Ansicht des Senats 2 des Presserats stellt der Beitrag „Schockierendes Video: Hamas zeigte Geiseln vor Hinrichtung“, erschienen am 03.09.2024 auf „oe24.at“, einen geringfügigen Verstoß gegen die Punkte 5 (Persönlichkeitsschutz) und 6 (Intimsphäre) des Ehrenkodex dar

Im Artikel wird darüber berichtet, dass die Hamas ein Video einer im Artikel namentlich genannten Frau veröffentlicht habe, bei der es sich um eine der sechs Geiseln gehandelt habe, deren Leichen am Wochenende in einem Tunnel im Gazastreifen gefunden und die nach Angaben des israelischen Militärs erst kurz zuvor getötet worden seien. In dem Video, das vom Forum der Familien der Geiseln und Vermissten als „schockierendes Psychoterror-Video“ bezeichnet worden sei, habe die Frau die israelische Regierung dazu gedrängt, die Freilassung aller im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln sicherzustellen und die israelische Bevölkerung zu Protesten zur Durchsetzung dieser Forderung aufgerufen.

In den Artikel ist ein X-Posting eingebettet, in dem das Video zu sehen ist. Die Frau wird darin unverpixelt gezeigt.

Eine Leserin hat sich an den Presserat gewandt und die Veröffentlichung des Videos als medienethisch bedenklich bewertet. Die Veröffentlichung befeuere die Propaganda der Hamas.

Die Medieninhaberin nahm am Verfahren teil. Die Chefredakteurin von „oe24.at“ hat in der Verhandlung festgehalten, dass in der Redaktion darüber diskutiert worden sei, ob man das Video veröffentlichen solle. Man habe sich schließlich für die Veröffentlichung entschieden, weil die Schwestern des Terroropfers das Video auch auf Instagram veröffentlicht haben, man das Leid, das das Opfer erlitten habe, verdeutlichen habe wollen und die Geisel auch eine politische Botschaft der Hamas transportiert habe. Zudem werde in Israel mit derartigem Videomaterial sehr offensiv umgegangen. Auf Bilder mit dem Blut des Opfers nach dessen Exekution habe man bewusst verzichtet. Der Name des Opfers sei in zahlreichen Medien genannt worden, so die Chefredakteurin weiter.

Der Senat erkennt an der Berichterstattung über die Geisel und dessen Ermordung ein entsprechend großes öffentliches Interesse. Es ist wichtig und für die Allgemeinheit bedeutsam, über die Verbrechen der Hamas informiert zu werden. Entscheidend dabei ist jedoch, wie derartige Berichte aufbereitet sind und welches Bildmaterial dafür verwendet wird. Trotz des öffentlichen Interesses an dem Vorfall ist der Persönlichkeitsschutz der mittlerweile verstorbenen Geisel zu berücksichtigen.

Auch wenn das Video mit der Geisel nicht dessen Tötung zeigt, befindet sich die betroffene Frau in einer Zwangs- und Ausnahmesituation. Sie wurde seit beinahe einem Jahr als Geisel gefangen gehalten und dazu genötigt, in dem Video Standpunkte vorzutragen, die die Interessen der Terrororganisation befördern. An dieser Stelle weist der Senat darauf hin, dass unabhängige Medien darauf achten sollten, sich nicht von Terrororganisationen wie der Hamas als Propagandawerkzeug missbrauchen zu lassen.

Die betroffene Geisel, die über einen längeren Zeitraum gefangen gehalten und nach der Videoauf-zeichnung getötet wurde, war besonders vulnerabel. Nach Meinung des Senats verletzt die Video-veröffentlichung daher den Persönlichkeitsschutz und insbesondere die Privatsphäre.

Grundsätzlich rechtfertigt die Verbreitung eines Videos in den sozialen Medien es nicht, dass auch journalistische Medien das Video eins zu eins wiedergeben. Anders als die sozialen Medien trifft journalistische Medien die ethische Verpflichtung, gewissenhaft abzuwägen und zu filtern.

Im vorliegenden Fall wurde das Propaganda-Video der Hamas allerdings von zwei nahen Angehörigen, nämlich den Schwestern der Geisel, auf Instagram gestellt. Zudem wurde in der Redaktion über die Veröffentlichung diskutiert und – wie die Chefredakteurin während der Verhandlung betont hat – bewusst darauf verzichtet, Bilder von der Tötung zu zeigen. Schließlich ist das Thema der von der Hamas verschleppten israelischen Geiseln von großer politischer Bedeutung.

Vor diesem Hintergrund hält es der Senat im konkreten Fall für ausreichend, bloß einen geringfügigen Verstoß gegen die Punkte 5 und 6 des Ehrenkodex (Schutz der Persönlichkeit und der Intimsphäre) festzustellen und einen Hinweis auszusprechen.

SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINER LESERIN

_Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig._
_Im vorliegenden Fall führte der Senat 2 des Presserats aufgrund einer Mitteilung einer Leserin ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht._

Österreichischer Presserat, Sprecher des Senats 2
Dr. Andreas Koller
Telefon: 01-53153-830
E-Mail: info@presserat.at

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