Bürgermeister Ludwig zum Tod von Franz S. Leichter: „Ohne ihn wäre die Geschichte Wiens ärmer“
„Sein Tod hat mich zutiefst bewegt und bestürzt“, reagierte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig auf die Nachricht vom Ableben Franz S. Leichters. „Ohne ihn, ohne seine Familie, wäre die Geschichte Wiens um einiges ärmer.“ Leichter starb 92-jährig an den Folgen einer Herzerkrankung in seiner Wahlheimat New York/Manhattan.
„Die Ausnahme-Vita Franz Leichters ist von der Historie seiner Familie nicht zu trennen“, so Ludwig. „Er wurde als einer der beiden Söhne von Otto und Käthe Leichter, einer Wiener Pionierin der Frauenbewegung, geboren. Käthe hatte 1918 bei Max Weber in Nationalökonomie promoviert und schloss sich schon früh der Arbeiterbewegung an. Sie wurde wissenschaftliche Mitarbeiterin Otto Bauers in der Staatskommission für Sozialisierung. In der Arbeiterkammer baute sie ein eigenes Frauenreferat auf, um gegen Ungleichbehandlung zu kämpfen. 1921 heiratete sie den Redakteur der ,Arbeiter-Zeitung‘, Otto Leichter. 1930 erschien ihr legendäres ,Handbuch der Frau‘, zwei Jahre später ihre bahnbrechende Studie ,So leben wir‘ mit Interviews von 130 Industriearbeiterinnen. Während des Ständestaates gehörten Otto und Käthe Leichter zum engsten Kreis der Revolutionären Sozialisten, ihre Wohnung wurde zu deren heimlichem Treffpunkt. Nach dem Anschluss gelang Otto die Flucht vor den Nazis in die Schweiz, Käthe Leichter wollte vor den Schergen Hitlers nicht weichen: ,Glaubt ihr, ich laufe vor den Lumpen davon?!‘ 1938 wurde sie von der Gestapo verhaftet, 1940 ins Frauen-KZ Ravensbrück verschleppt, wo sie auf Rosa Jochmann traf. 1942 ermordeten die Nazis sie im Zuge eines Euthanasieprogramms in Bernburg/Saale mit Giftgas. Otto Leichter war es indes gelungen, mit den Söhnen über Paris, Vichy-Frankreich und Lissabon 1940 nach New York zu emigrieren.“
Und der Bürgermeister weiter: „Franz Leichter hatte den Sinn für Gerechtigkeit und den Kampfesmut seiner Mutter ,geerbt‘ und ein Leben lang hochgehalten. Er besuchte das Swarthmore College und studierte in Harvard Rechtswissenschaften. Nach Abschluss des Studiums war er mehr als 50 Jahre als Anwalt tätig, so etwa für das österreichische Konsulat in New York und das österreichische Kulturinstitut. Als leidenschaftlicher demokratischer Abgeordneter und später als langjähriger Senator des Bundesstaates New York profilierte er sich als einer der Protagonisten der amerikanischen Reformbewegung.“
Michael Ludwig: „In einem mehrseitigen Nachruf würdigte die ,New York Times‘ Franz Leichter als Pionier der Rechtsreformen: ,He co-wrote a landmark abortion-rights law‘ – er arbeitete federführend an einem neuen Abtreibungsgesetz mit. Davor hatten Amerikanerinnen, die einen Schwangeschaftsabbruch planten, nach Puerto Rico ausweichen müssen oder – wenn sie nicht vermögend waren – die Abtreibung unter widrigsten Umständen selbst vorgenommen.“
„Und – ,he pushed for same-sex marriage and legalized marijuana long before their time‘ – er kämpfte für die gleichgeschlechtliche Ehe und schon sehr früh für die Legalisierung von Marihuana. Des Weiteren setzte er sich als Anwalt und maßgeblicher Politiker für den Konsumentenschutz, für Umweltpolitik, für Wahlreformen, für Antidiskriminierung und für leistbares Wohnen ein. Er war ein leidenschaftlicher Gegner der Todesstrafe“, so der Wiener Stadtchef.
Ludwig: „Von Republikanern wurde er angesichts seines antiautoritären Elans – so nannte er den Senat einmal ,Diktatur‘ und ,Tyrannei einiger Weniger‘ – als ,letzter Beatnik‘ bezeichnet. Demokraten bedauerten, dass es diesem ,Don Quixote‘ der amerikanischen Legislative nicht immer gelang, die Windmühlen auf Anhieb zu erobern.“
Nach seinem Abschied aus dem Parlament in Albany 1998 wurde Franz Leichter im Jahr 2000 von Präsident Bill Clinton zum Direktor des Federal Housing Finance Board bestellt.
„Zu Wien verlor Franz Leichter nie den Kontakt“, so Michael Ludwig, „auch wenn er seine Geburtsstadt stets mit ,gemischten Gefühlen‘ besuchte. Im Jahr 2009 wurden Franz S. Leichter und sein Bruder Henry O. Leichter mit der Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold gewürdigt. Die Begründung lautete damals: Die beide Geehrten ,repräsentieren einen wichtigen Teil der Geschichte Wiens mit all ihren hellen und dunklen Stunden‘. Sie haben sich ,ihrem Wien stark verbunden gefühlt‘ und ,ganz wesentlich zur Wiederherstellung des Ansehens Wiens und Österreichs in den USA beigetragen‘.“
„Mein Dank gilt dem Lebenswerk Franz S. Leichters, das von Menschlichkeit, Respekt vor anderen, dem Drang nach Gerechtigkeit, Freiheit und dem entschiedenen Eintreten für Schwächere getragen war“, so der Wiener Bürgermeister. „Mein Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen.“ (Schluss)
PID-Rathauskorrespondenz
Stadt Wien Presse- und Informationsdienst
Service für Journalist*innen, Stadtredaktion
01 4000-81081
presse.wien.gv.at
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
© Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender
Kommentare sind geschlossen, aber trackbacks und Pingbacks sind offen.