Ein gesundes Gehirn bedeutet Lebensqualität
NEUROLOGISCHE ERKRANKUNGEN GELTEN ALS EINE DER GRÖSSTEN GESUNDHEITLICHEN HERAUSFORDERUNGEN DES 21. JAHRHUNDERTS. SCHLAGANFALL UND DEMENZ ZÄHLEN ZU DEN HÄUFIGSTEN ERKRANKUNGEN.
„Schlaganfall und Demenz bringen eine enorme Krankheitslast mit sich. Sie haben erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen und stellen sowohl die Gesellschaft als auch unser Gesundheitssystem vor große Herausforderungen“, so Prim. Univ.-Prof. Dr. Jörg Weber, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) und Abteilungsvorstand der Neurologie im Klinikum Klagenfurt.
Weltweit sind neurologische Erkrankungen die Hauptursache für in Behinderung verbrachte Lebensjahre, sie verursachen die höchste Zahl an DALYs (verlorene Lebensjahre durch krankheitsbedingte Behinderung oder vorzeitigen Tod) und sie sind weltweit die zweithäufigste Todesursache. In Österreich erleiden jährlich etwa 20.000 Menschen einen Schlaganfall, was bedeutet, dass alle 27 Minuten eine Person betroffen ist. Die Zahl der Demenzerkrankungen liegt aktuell bei etwa 150.000 Patient:innen, Tendenz stark steigend. Konkrete Daten zu den Kosten neurologischer Erkrankungen für das österreichische Gesundheitssystem sind derzeit nicht verfügbar. Allerdings wurde für die EU-27-Staaten sowie die Schweiz, Island und Norwegen eine jährliche finanzielle Belastung von rund 800 Milliarden Euro durch neurologische Erkrankungen ermittelt. Diese Summe übersteigt die Kosten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um das Dreifache.
„Angesichts der zunehmenden neurologischen Erkrankungen ist die verstärkte Förderung der Gehirngesundheit wesentlich, die primär individuelle Lebensqualität bis ins höhere Alter und sekundär eine Entlastung des gesamten Gesundheitssystems bedeutet. Indem wir körperliche Gesundheit fördern, sichere und gesunde Umgebungen schaffen, lebenslanges Lernen unterstützen und soziale Verbundenheit stärken, können wir die geistige Leistungsfähigkeit erhalten und das Risiko für neurologische Erkrankungen senken“, erklärt Dr. Weber.
Durch gezielte LEBENSSTILMODIFIKATIONEN – wie gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung und das Management von Risikofaktoren – KANN DAS RISIKO FÜR SCHLAGANFALL UM BIS ZU 80 PROZENT, DAS RISIKO FÜR DEMENZ UM 45 PROZENT UND DAS RISIKO FÜR DIE ENTWICKLUNG EINER METABOLISCHEN NEUROPATHIE UM BIS ZU 69 PROZENT GESENKT WERDEN.
PRÄVENTION FÜR HIRNGESUNDHEIT BEGINNT FRÜHER
Insgesamt gibt es 14 vermeidbare Risikofaktoren für Demenz, darunter niedrige Bildung im Kindesalter, Bluthochdruck, hohe Cholesterinwerte, Seh- und Hörverlust, soziale Isolation sowie Bewegungsmangel. Besonders Luftverschmutzung gefährdet die Gehirngesundheit weltweit.
Es wird geschätzt, dass 99 % der Menschen weltweit verschmutzte Luft in ihrer Umgebung einatmen, was die Gehirnentwicklung und -gesundheit über die gesamte Lebensspanne hinweg gefährdet.
SEHBEHINDERUNG UND CHOLESTERIN ALS RISIKOFAKTOREN
Eine Studie zeigt, dass Sehprobleme den kognitiven Abbau vorhersagen können. Weltweit sind 12,5 % der Menschen über 50 betroffen, wobei eine frühzeitige Behandlung das Demenzrisiko senken kann. Neben Sehbehinderungen identifizierte eine Lancet-Kommission auch erhöhte Cholesterinwerte als bedeutende Katalysatoren für die Entwicklung von Demenz. „Ein zu hoher Cholesterinwert im mittleren Lebensalter zwischen 45 und 65 Jahren erhöht das Risiko für Demenz um 7 %. Die Einnahme von Cholesterinsenkern zur Risikoreduktion wird daher empfohlen“, erklären die Expert:innen Assoc.-Prof.in Priv.-Doz.in Dr.in Elisabeth Stögmann, Leiterin Ambulanz für Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen an der Medizinischen Universität Wien, AKH Wien, und Priv.-Doz. Dr. Atbin Djamshidian-Tehrani, PhD, Leiter der Gedächtnisambulanz an der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck.
SCHLAF UND SCHLAGANFALLRISIKO
Es gibt viele Möglichkeiten, aktiv zur Gehirngesundheit beizutragen. Neben Bluthochdruck und Diabetes sowie anderen Komorbiditäten wie Depressionen spielt Schlaf eine entscheidende Rolle. Zu kurze oder zu lange Schlafzeiten (über acht Stunden) könnten das Schlaganfallrisiko erhöhen. „Eine besonders lange Schlafdauer ist ein starker Marker und ein plausibler Risikofaktor für Schlaganfälle und sollte in zukünftigen Risikobewertungen und Präventionsstrategien berücksichtigt werden“, betonen die Expert:innen Priv.-Doz.in Dr.in Bettina Pfausler, stellvertretende geschäftsführende Oberärztin der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck, Leiterin der Neurologischen Intensivstation und der Neuroinfektiologie sowie Tagungspräsidentin der 22. Jahrestagung der ÖGN, Univ.-Prof. Dr. Stefan Kiechl, Direktor der Universitätsklinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Innsbruck und Tagungspräsident der 22. Jahrestagung der ÖGN, Prim.a Priv.-Doz.inDr.in Julia Ferrari, Präsidentin der Österreichischen Schlaganfallgesellschaft, Präsidentin elect Österreichische Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) und Leiterin der Abteilung für Neurologie, Neurologische Rehabilitation und Akutgeriatrie im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien.
Die Auswirkungen von Schlafstörungen auf das Gehirn können zumindest teilweise durch eine erhöhte Entzündung erklärt werden, da Schlafstörungen mit erhöhten Werten von C-reaktivem Protein und Interleukin-6 in Verbindung stehen, die beide Anzeichen für Entzündungen im Körper sind.
Da Schlaganfälle weltweit eine der häufigsten Ursachen für Behinderungen sind, ist Prävention essenziell – nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten für Akutbehandlung und Rehabilitation, die in Österreich allein im ersten Jahr geschätzt über eine Milliarde Euro betragen.
FRÜHDIAGNOSE ALS GAME-CHANGER
Die Forschung liefert immer genauere Erkenntnisse über biologische Marker und bildgebende Verfahren, die eine frühzeitige Identifikation von Veränderungen ermöglichen, aus denen auf ein erhöhtes Risiko für Demenz oder Schlaganfall geschlossen werden kann. Moderne Diagnostik erlaubt es heute, präventive Maßnahmen individuell anzupassen und gezielt einzuleiten.
BIOMARKER VERÄNDERN FRÜH- UND DIFFERENZIALDIAGNOSTIK BEI ALZHEIMER
„In den letzten Jahren gab es bedeutende Fortschritte im Verständnis der zugrundeliegenden Pathophysiologie, des klinischen Verlaufs und der Prognose verschiedener Demenzerkrankungen, insbesondere der Alzheimer Erkrankung. Im Bereich der Früh- und Differenzialdiagnostik wurden durch den Einsatz von Biomarkern wesentliche Fortschritte erzielt“, so Dr.in.Stögmann und Dr. Djamshidian-Tehrani. Zukünftig sind neue Therapien für die Alzheimer-Erkrankung zu erwarten, die eventuell auch zum Abbau des Stigmas der Erkrankung beitragen könnten.
Frühe Phasen der demenziellen Erkrankung sind aufgrund diskret beginnender Symptomatik schwer vom gesunden Alterungsprozess oder anderen Erkrankungen, die mit kognitiven Veränderungen bzw. Defiziten assoziiert sind, wie zum Beispiel einer Depression, zu unterscheiden. „Andererseits wissen wir inzwischen, dass neuropathologische Merkmale, wie die Ablagerung von fehlgefalteten Eiweißen im Gehirn (Amyloid ß und Tau), bei der Alzheimer-Erkrankung zu diesem frühen Zeitpunkt schon vorhanden sind“, so Dr.in Stögmann und Dr. Djamshidian. Studien zur Pathophysiologie der Alzheimer-Erkrankung haben gezeigt, dass neuropathologische Merkmale, die auch bei Parkinson und anderen Demenzformen bedeutend sind, schon bis zu 15 Jahre vor dem Beginn der klinischen Symptomatik zu finden sind.
DIE LEICHTE KOGNITIVE STÖRUNG – ALS VORSTUFE DER DEMENZ – IST DEUTLICH UNTERDIAGNOSTIZIERT, UND VIELE BETROFFENE WENDEN SICH ERST IN STADIEN DER MILDEN BIS MODERATEN DEMENZ AN SPEZIALISIERTE EINRICHTUNGEN, WAS DIE WIRKSAMKEIT GEZIELTER INTERVENTIONEN DEUTLICH REDUZIERT. International hat sich das Konzept der „zeitgerechten Diagnose“ (TIMELY DIAGNOSIS) durchgesetzt, das darauf abzielt, den Diagnosezeitpunkt so zu wählen, dass eine bestmögliche Behandlung und Versorgung ermöglicht wird. Dies bedeutet, die Diagnose zu einem Zeitpunkt zu stellen, an dem wirksame Interventionsmöglichkeiten genutzt werden können, die den Betroffenen zugutekommen, zum Beispiel durch Verbesserung der Symptome oder Verzögerung des Krankheitsverlaufs.
NEUE DEMENZ-THERAPIEN WERDEN VORAUSSICHTLICH 2025 IN EUROPA ZUGELASSEN. Dies stellt jedenfalls einen Meilenstein in der Therapieentwicklung der Alzheimer-Erkrankung dar. Die neuen Therapien sind monoklonale Antikörper gegen Amyloid ß und können nur bei Patient:innen mit einer Biomarker-gesicherten Alzheimerdemenz-Diagnose (mittels Amyloid-PET oder Amyloid ß 42/40 Analyse im Liquor) und in einem frühen Stadium der Erkrankung (Mini Mental State Examination MMSE > 20) verabreicht werden. Aufgrund des besonderen Nebenwirkungsspektrums muss vorab eine detaillierte und differenzierte Aufklärung der Patient:innen erfolgen. Die Durchführung von MRT-Untersuchungen in regelmäßigen Abständen während der Behandlung und die Einbeziehung konservativer Algorithmen für die Unterbrechung oder den Abbruch der Behandlung müssen gewährleistet sein.
VERBESSERTE HEILUNGSCHANCEN NACH SCHLAGANFALL
Die Heilungschancen nach einem Schlaganfall haben sich über die letzten drei Jahrzehnte massiv verbessert. Während in den 1990er-Jahren 25 bis 30 % der Schlaganfallpatient:innen nach drei Monaten funktionell unabhängig wurden, liegen die Raten in Österreich aktuell bei 65 bis 70 %.
Ein Großteil der Schlaganfallpatient:innen wird in Stroke-Units oder an Intensivstationen behandelt. Die Kapazität der Stroke-Units in Österreich wird aktuell erweitert. Ganz entscheidend ist auch eine Nachbetreuung der Schlaganfallpatient:innen („Post-stroke Care“). Der Schlaganfall ist eine akute, aber auch chronische Erkrankung. „Die meisten Schlaganfallpatient:innen bekommen Wochen bis Monate nach dem Schlaganfall häufige Komplikationen, wie Depression, Angsterkrankung, kognitive Defizite und Demenz, Schlaferkrankungen, Fatigue, Epilepsie, Stürze und Frakturen“, so Dr. Pfausler und Dr. Kiechl.
TIAS UND KLEINE SCHLAGANFÄLLE – EIN UNTERSCHÄTZTES RISIKO MIT LANGFRISTIGEN FOLGEN
Was man schon länger weiß, ist, dass diese Patient:innen ein hohes Risiko haben, weitere Schlaganfälle zu entwickeln. Es ist Standard in Österreich, dass diese Patient:innen stationär rasch untersucht werden und mit Medikamenten oder chirurgischen Eingriffen (Einengung der Halsschlagader) behandelt werden. „Neue Erkenntnisse zeigen, dass Patient:innen mit TIAs und kleineren Schlaganfällen – ähnlich wie bei schweren Schlaganfällen – Komplikationen im Langzeitverlauf entwickeln können, die die Lebensqualität verringern und auch die Prognose langfristig verschlechtern. Die Komplikationen sind die gleichen wie oben genannt: Depressionen, Angsterkrankungen, kognitive Defizite und Demenz, Schlaferkrankungen, Fatigue und Frakturen. Die Konsequenz ist, dass auch diese Patient:innen einer konsequenten Nachbetreuung bedürfen“, erklären die Expert:innen Dr. Pfausler, Dr. Ferrari und Dr. Kiechl.
AKTUELLE SCHLAGANFALL-BETREUUNG IN ÖSTERREICH: FÜHREND IN QUALITÄTSSTANDARDS, DEFIZITE NOCH IN AMBULANTER REHABILITATION
In Österreich wird die langfristige Betreuung des Schlaganfalls aufgebaut, ist jedoch aktuell noch nicht flächendeckend. „Es gibt sehr gute Schätzungen, die nachweisen, dass die Anzahl der Schlaganfallpatient:innen bis 2035 um 20 % zunehmen wird. Der Grund ist eine Überalterung der Bevölkerung. Es ist somit eine Herausforderung für die Gesundheitsplanung, dass diese zusätzlichen Patient:innen adäquat versorgt werden,“ so hier Dr. Ferrari.
Österreich sei laut dem ÖGN-Präsidenten eines der wenigen Länder, die einen Qualitätsstandard für Schlaganfall etabliert haben. Qualitätsindikatoren werden für alle Schlaganfallpatient:innen gesammelt. Diese Qualitätsindikatoren werden jährlich ausgewertet, um die Qualität der Schlaganfallbetreuung in allen Krankenhäusern Österreichs zu verbessern (A-IQI System). Während Stroke-Units flächendeckend eine sehr gute Qualität aufweisen, gibt es noch deutliche Defizite in der ambulanten Rehabilitation von Schlaganfallpatient:innen. Der Schweregrad der Schlaganfälle hat über die letzten zwei Jahrzehnte kontinuierlich abgenommen. Der Grund ist eine bessere Primärprävention.
AUSBLICK ZUKUNFT: KI UND ZELLTHERAPIEN EBNEN DEN WEG IN EINE NEUE ÄRA DER PATIENT:INNENVERSORGUNG
Die Neurologie steht an der Schwelle zu einem Paradigmenwechsel, der durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und innovativen Zelltherapien vorangetrieben wird. Die ÖGN erwartet für die kommenden zehn Jahre dramatische Fortschritte in Diagnose und Therapie neurologischer Erkrankungen.
KI-Systeme werden künftig Neurolog:innen bei der Anamnese, Diagnosestellung und Bildgebung unterstützen. Sie ermöglichen eine präzisere Informationssammlung und -analyse, was zu treffsichereren Vorhersagen und individualisierten Behandlungsstrategien führt. Bereits im Einsatz befindliche Detektionsprogramme für Hirnblutungen und intelligente Medikamenteninteraktionssysteme sind erste Vorboten dieser Entwicklung. Die KI wird als leistungsstarkes Werkzeug zur Unterstützung der ärztlichen Entscheidungsfindung dienen, ohne Ärztinnen und Ärzte als Letztentscheider zu ersetzen.
INTERDISZIPLINÄRE VERSORGUNGSSTRUKTUREN MÜSSEN VERBESSERT WERDEN
„Die Komplexität des Faches erfordert einen ganzheitlichen Ansatz zur Förderung der Gehirngesundheit“, so Dr. Weber. Entscheidend sei eine engere interdisziplinäre Zusammenarbeit, um Prävention, Diagnose, Behandlung und Nachsorge zu optimieren. Digitale Plattformen für den Expert:innenaustausch könnten innovative, patient:innenzentrierte Konzepte fördern und die Früherkennung stärken.
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