ORF-Stiftungsrat entspricht nicht der Bundesverfassung

Redakteursrat fordert bei Neubestellung Besetzung mit Fachleuten

Wien (OTS) – In den nächsten Tagen und Wochen werden ORF-Stiftungsrat und Publikumsrat neu bestellt. Nach einem Gesetz, dass verfassungswidrig ist – wenn man der Argumentation des jetzigen VfGH-Präsidenten Christoph Grabenwarter folgt. Die „Sideletter“ der beiden letzten Regierungsbildungen zeigen, wie weit die Parteien in die Personalentscheidungen des ORF eingreifen. Das ist ein weiterer Bruch der Verfassung, argumentiert Verfassungs- und Verwaltungsjurist Heinz Mayer.

Der ORF-Stiftungsrat tritt am Donnerstag, 17.3. zu seiner letzten Sitzung seiner aktuellen Periode unter der Leitung von Norbert Steger zusammen. Am 5. Mai wird der Publikumsrat in neuer Zusammensetzung tagen. Und am 19. Mai konstituiert sich der Stiftungsrat neu. Sicher ist schon jetzt: Die Regierungsparteien werden dort wieder die Mehrheit haben. Nach einem ORF-Gesetz, dass laut Verfassungsbestimmung „die Unabhängigkeit der Personen und Organe“ sichern soll, aber das genaue Gegenteil davon will.

Die Bestellung der Aufsichtsgremien wird nach einem ORF-Gesetz vorgenommen, das wohl der Verfassung widerspricht. Das ORF-Gesetz stellt nämlich sicher, dass der Bestellmodus für die Aufsichtsgremien den Regierungsparteien die Mehrheit garantiert. Von den 35 Mitgliedern des Stiftungsrates lassen sich 32 direkt oder indirekt einer politischen Partei zuordnen – die meisten von ihnen organisiert in partei-politischen „Freundeskreisen“. Mit 18 der 35 Mitglieder stellt der ÖVP-„Freundeskreis“ sogar die Mehrheit im Stiftungsrat. Im zweiten Aufsichtsgremium – dem Publikumsrat – sucht der Bundeskanzler bzw. die Medienministerin persönlich 17 der insgesamt 30 Mitglieder aus.

In einem Standardwerk zum deutschen Grundgesetz (1) schreibt der renommierte Rundfunkjurist und jetzige Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Christoph Grabenwarter über die Leitungs-und Aufsichtsorgane im Rundfunk: „Herrscht in den Organen eine große Mehrheit von Vertretern der Regierungspartei(en), wird Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt.“ Laut diesem Artikel der EMRK muss die „Vielfalt im Rundfunk“ gewährleistet sein. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist Teil der österreichischen Verfassung.

Der Rundfunk-Jurist Hans Peter Lehofer kommt ebenfalls zum Schluss, dass zumindest 30 Stiftungsratsmitglieder entweder „staatsnah“ oder „nicht hinreichend staatsfern“ bestellt werden.

In den kürzlich bekannt gewordenen „Sideletter“ der letzten beiden Regierungsbildungen gibt es geheime Absprachen der Parteien über Führungspositionen im ORF. Damit wurde der offizielle Bestellprozess mit Ausschreibungen, Bewerbungen und Anhörungen mehrerer Kandidatinnen und Kandidaten sowie die Mitwirkungsrechte der Redaktionen zur Farce degradiert. Dazu schreibt Verfassungsexperte Heinz Mayer: „Das ist eine klare Verletzung des Bundesverfassungsgesetzes über die Unabhängigkeit des Rundfunks.“ (2)

Der ehemalige ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz bestätigt, dass es unter der ÖVP-FPÖ-Regierung mit Stiftungsräten zu Postenabsprachen gekommen ist: „Ja, es hat Gespräche zu Leitungsfunktionen gegeben, bei denen man sich teilweise auf Positionen verständigt hat“, so Wrabetz in einem Interview mit den „Salzburger Nachrichten“. Damit wollte er die Zerschlagung des ORF und die Finanzierung über das Budget des Bundeshaushaltes verhindern, argumentiert Wrabetz. (3)

Für Medien-Jurist Lehofer gehen die Vereinbarungen zwischen den beiden „Freundeskreis“-Leitern Norbert Steger (FPÖ) und Thomas Zach (ÖVP) „über das gesetzlich Zulässige deutlich hinaus. Diese Vereinbarungen zeigen zudem eine Vermischung zwischen Regierungspolitik und Ausübung einer Organfunktion im ORF, die der verfassungsgesetzlich postulierten Unabhängigkeit des Rundfunks widerspricht.“ Das treffe nach Meinung Lehofers auch auf den „Sideletter“ von ÖVP und Grünen zu. (4)

Die ORF-Journalistinnen und -Journalisten fordern daher eine rasche Überarbeitung und Modernisierung des ORF-Gesetzes. Damit ein verfassungsmäßiger Zustand hergestellt wird, der die Unabhängigkeit der Personen und Organe gewährleistet.

Auch wenn die Aufsichtsgremien in den nächsten Wochen nach dem aktuellen ORF-Gesetz bestellt werden: Der ORF-Redakteursrat fordert von allen Verantwortlichen im Bestellungsprozess, nicht nach parteipolitischen Kriterien zu entscheiden, sondern ausschließlich nach fachlichen Kriterien. Der Stiftungsrat soll aus ausgewiesenen Expertinnen und Experten bestehen, statt aus Personen, die in einem direkten Naheverhältnis zu ihren parteipolitischen Entsendern stehen.

Konkret notwendig sind ein transparenter Bestellungsvorgang der Mitglieder des Stiftungsrates – mit der Möglichkeit sich zu bewerben und verbunden mit einem öffentlichen Hearing. Und wir fordern ein Auflösen der politischen Fraktionen, die der gesetzlichen Unabhängigkeit des ORF widersprechen. Der Stiftungsrat soll ein Aufsichtsorgan sein, der das Unternehmen im Sinne des Publikums kontrolliert, und nicht ein verlängerter Arm der Parteien und Regierung.

Es darf bei der Auswahl der Mitglieder nicht um eine partei-politische „Zuverlässigkeit“ gehen, um – wie beim Klubzwang im Parlament – bei Abstimmungen geschlossen einer Parteilinie zu folgen. Sondern um echtes Interesse am öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seiner Weiterentwicklung, sowie um Kompetenz und das notwendige Fachwissen in Medien- und Wirtschaftsfragen. An der Spitze des Stiftungsrates soll eine fachlich unbestrittene Expertin oder ein Experte stehen, ohne politische Schlagseite und mit einem hohen Maß an Expertise in Medienfragen.

Im Rahmen der Sicherung und des Ausbaus der Mitwirkungsrechte der Redaktionen fordern wir auch eine Vertretung des Redakteursrates im Stiftungsrat. Für konkrete Vorschläge zur Novelle des ORF-Gesetzes steht die Redakteursvertretung zur Verfügung.

Auch nach den Kriegs- und Krisenzeiten wird der ORF weiterhin für die Österreicherinnen und Österreicher das wichtigste Informationsmedium sein. Politisch unabhängige Information ist unerlässlich für die Demokratie in Österreich – das ist auch im Sinne der politischen Parteien.

Der Redakteursrat

Dieter Bornemann, Peter Daser, Margit Schuschou

(1) Grabenwarter, Christoph: Kommentierung des Art 5 GG (Rundfunkfreiheit, Filmfreiheit und Informationsfreiheit). In Grundgesetz-Kommentar. Hrsg. Maunz/Dürig. München, 2018

(2) Mayer, Heinz: „Koalitionärer Tauschhandel: Der vereinbarte Rechtsbruch als Staatsräson“, Kommentar der Anderen in „Der Standard“, 4.2.2022

(3) „Alexander Wrabetz zu Sideletter-Affäre: „Selbst für den ORF ungewöhnlich““, in „Salzburger Nachrichten“, 31.1.2022

(4) Lehofer, Hans Peter: „Koalitions-Sideletter und öffentlich-rechtlicher Rundfunk“, „Blog zum österreichischen und europäischen Recht der elektronischen Kommunikationsnetze und -dienste“ unter [blog.lehofer.at] (http://blog.lehofer.at), 7.2.2022

Dieter Bornemann, M.A.
Vorsitzender des Redakteursrates
Tel.: 01/87878/12 457

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