Wider die Voreingenommenheit
Regieverband zu den anonymen Anschuldigungen gegen Ulrich Seidl
Nach der Veröffentlichung anonymer Anschuldigungen gegen Ulrich Seidl – zunächst durch den _Spiegel_, dann durch den _Falter_ – kam es zu zahlreichen übereilten und unsachlichen öffentlichen Reaktionen, die uns besorgt machen. Die Mitgliederversammlung des _Verbandes Filmregie Österreich_ hat deshalb beschlossen, eine Stellungnahme abzugeben.
Die Vorwürfe im Zusammenhang mit den Produktionsbedingungen von Seidls Film „Sparta“ wiegen zweifelsohne schwer. Deshalb sprechen wir uns ausdrücklich für eine gründliche und unvoreingenommene Prüfung des Sachverhalts aus, die nur im Interesse aller Beteiligten sein kann.
Allerdings wurde von Medienvertretern sowie von politischen und institutionellen Entscheidungsträgern der Abschluss einer solchen Prüfung gar nicht erst abgewartet. Vielmehr wurde einer Vorverurteilung Vorschub geleistet, indem u.a. sofort die Rückzahlung von Fördermittel in den Raum gestellt oder dem Publikum der Fernsehnachrichten angeraten wurde, den Film, den zu diesem Zeitpunkt noch niemand gesehen hatte, am besten gar nicht erst anzusehen.
Wir appellieren deshalb an die Medienvertreter, das journalistische Objektivitätsgebot zu achten. Wir fordern darüber hinaus die Vertreter der öffentlichen Kunst- und Kulturförderung auf, ihre Verantwortung als professionelle Repräsentanten und gegebenenfalls auch Fürsprecher von Kunst und Künstlern nachzukommen.
Nach der Absage der Weltpremiere in Toronto hat nur die konsequente Haltung des Festivaldirektors von San Sebastian verhindert, dass „Sparta“ aufgrund ungeklärter Vorwürfe gecancelt wurde.
Unsere hier geäußerte Kritik an der Reaktion der Medien und Institutionen schmälert nicht unsere gemeinsame Verantwortung gegenüber Opfern von Missbrauch oder Übergriffen durch Mächtige; im Gegenteil, diese Verantwortung tritt vor dem Hintergrund dieses Falles umso deutlicher hervor.
Die Tatsache, dass auch ein Rechtsstaat blinde Flecken haben kann, darf nicht dazu verleiten, seine Mechanismen gleich völlig zu ignorieren. Normen wie die Unschuldsvermutung sind keine Selbstverständlichkeiten, sondern kulturelle Errungenschaften, die wir als Prinzipien hochhalten müssen.
Die sogenannte Cancel Culture kann selbst zu einer missbräuchlichen Praxis werden. Politische Entscheidungsträger, Vertreter unserer Institutionen und Medienvertreter sind aufgerufen, einen verantwortungsvollen Umgang mit dieser Art von Anschuldigungen zu finden, insbesondere wenn sie sich gegen bekanntermaßen streitbare Künstler richten.
Verband Filmregie Österreich
office@austrian-directors.com
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
© Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender
Kommentare sind geschlossen, aber trackbacks und Pingbacks sind offen.