MICHA BRENDEL/ KURT BUCHWALD/ ERICH W.HARTZSCH 01.02. – 30.04.23

FOTOAUSSTELLUNGEN IM FRANCISCO CAROLINUM LINZ

MICHA BRENDEL. LEIBSAFTIG

Das Francisco Carolinum zeigt in einer retrospektiven Ausstellung zu Micha Brendel (geb. 1959) über 70 Einzelarbeiten aus 8 Werkgruppen von 1982 bis 2022.

Zu seinem Angriffsapparat zählen fotografische Strukturuntersuchungen ebenso wie Gegenstandsverfremdungen mittels experimenteller Manipulationen. Immer aber setzt Brendel einen in der Kunst bekannten Topos fort: das _Memento mori,_ als Aufforderung zur Selbsterforschung und als künstlerisches Exerzitium.

„Ahnentafeln“, „Flugschutt“ und „Stele“ stellen sich als sehr weit gefasste Abstraktionen des menschlichen Antlitzes dar. Die Fotografien, deren unendliche Schwärze keinerlei Halt bietet, entstanden in einem völlig dunklen Raum ohne Einsatz einer Kamera. In den Anordnungen der Tableaus findet sich Zerstückeltes nach eigenem Formwillen wieder zusammen.

„Vier letzte Bilder“ markieren den Abschluss von Micha Brendels selbstinszenierter Fotografie und deren Überarbeitungen. Dieses letzte Aufbäumen vor dem Ende schlägt sich auch formal in den Bildern nieder – etwa in Form von Aufbrechungen des Bildgrundes und Brandflecken.  

Micha Brendels Präparatobjekte enthüllen bewusst die Überschneidungen und Verflechtungen von medizinischen, theologischen und kulturhistorischen Deutungsmodellen. Der „Energiekoffer für kleine seelische Reparaturen“ beispielsweise zeigt sich als Reliquienschatulle, Fetischsammlung und mittelalterliche Drecksapotheke in einem. In der Serie „Anencephali – ins Leben gebeten“ fanden Aufnahmen von Schädeln totgeborener Föten Verwendung, die sich durch schwere Fehlbildungen des Schädeldaches und des Hirns nicht lebensfähig entwickeln konnten. Dies forderte Brendel zu künstlerischen Nachbildungs- und Wiederbelebungsversuchen heraus.

Die Serie „Verstummt vor Weiß“ bietet sich nach den intensiven Serien der Übermalungen als ein Interludium dar, ein Zur-Ruhe-Kommen und ein kontemplatives, sparsames Akzentuieren verschwimmender Eigen-Gesichter.  

In den neuesten Arbeiten, den „Verschriftungen“, erinnert und belebt Brendel die (Hand)SCHRIFT, die zunehmend an Gebrauch verliert. Aber entgegen dem Kanon, mit Schrift versprachlichte Gedanken zu codieren, liegen seine Akzente auf erfundenen Buchstaben, meditativen Schreibrhythmen, Kürzeln, Flecken und Färbungen. 

KURT BUCHWALD. ASYMMETRIE DES SEHENS

Kurt Buchwald (geb. 1953) ist ein streitbarer Bild- und Aktionskünstler aus dem Osten Deutschlands, ein Spezialist für Wahrnehmung und ein experimenteller Bildstörer.

Er arbeitet „asymmetrisch“, d.h. ohne aufwändige Vorbereitung, ohne zusätzliches Personal und Lichttechnik, ohne Modelle, ohne Einsatz von Apparaten und Maschinen. Angeregt durch wissenschaftlich-technische Prozeduren stellt er Ordnungssysteme auf und benutzt einfache, selbst gebaute Vorrichtungen wie Blenden, Rohre und Kästen. Die Improvisation, das Experiment und das Nachdenken über die Welt, sind Voraussetzungen und Antriebe seiner künstlerischen Praxis.

Wichtig sind ihm die Aktion und der Einsatz des eigenen Körpers, wie bei allen asymmetrischen Auseinandersetzungen. Wenn er eine Blende oder ein Rohr an der Kamera montiert, ist der Körpereinsatz nicht mehr erkennbar und löst sich im Bildfinitum auf. 

Das Dokumentarische und der Eingriff, zwei Ansätze, mit denen er sich selbst ins Bild katapultiert, gehören bei diesem Künstler zusammen, ja bedingen einander. Ohne die beglaubigte Sicherheit des Tatsächlichen fehlte seiner Kunst die Herausforderung; ohne das Formalistische und Serielle, das in Buchwalds Bild- und Gedankenwelt steckt, würde das poetologische und stilistische Bindeglied fehlen. 

Leben als zivilisatorisches Missgeschick zu interpretieren und sich mit dem Fotoapparat dagegen zu wehren, treibt ihn bis heute um. 

ERICH W. HARTZSCH. ZWEITE HAUT

In der ehemaligen DDR gehörte Erich-Wolfgang Hartzsch (geb. 1952) der alternativen Kunstszene an. Hartzsch verweigerte sich damit dem Kunstgeschmack der SED, namentlich dem Sozialistischen Realismus. Mit öffentlichen Ankäufen war daher nicht zu rechnen, wohl aber mit der Überwachung durch Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit – und Hartzsch machte sich auf vielerlei Ebenen verdächtig: Pazifist zu sein, war in der DDR karriereschädlich, ebenso die Verweigerung des Weges zur Wahlurne. Seine Mitwirkung in der von Klaus Hähner-Springmühl (1950-2006) gegründeten Improvisations-Band _Kartoffelschälmaschine_ und seine Kunstwerke taten ihr Übriges, um den Überwachungsapparat zu nähren. Die Mitgliedschaft im Verband Bildender Künstler der DDR war der wohl einzige lebensnotwendige Kompromiss, der einzugehen war. Denn ohne diese Mitgliedschaft drohte in der realsozialistischen Vorzeigestadt Karl-Mark-Stadt die Anwendung des Asozialen-Paragraphen, das meint Arbeitslager oder Gefängnis.

Für Hartzschs Selbstverständnis als Künstler war das fatal. Nachdem sich nahezu 30 Jahre lang kein Museum für sein Schaffen interessierte, kam er zu dem Trugschluss, kein ausreichend interessantes Werk geschaffen zu haben. Wie ein Besuch in seinem Chemnitzer Atelier 2018 zu Tage brachte, hat er in den Wochen nach der Wende den Großteil seines malerischen Oeuvres vernichtet. Im Gegensatz zu seinem malerischen, hat sich das fotografische und filmische Werk von Hartzsch vollkommen erhalten. Es fanden sich nicht nur Filmspulen von zahlreichen niemals öffentlich vorgeführten Filmen, sondern auch sämtliche Negative von seinen Fotos, eine beachtliche Anzahl von Vintage-Prints und literarische Manuskripte.  

Der Film war ein Medium, das in der DDR fast ausschließlich dem Staat vorbehalten war, die künstlerische Produktion von Filmen und Fotos wurde darum nur wenig beachtet. Innerhalb dieses Freiraums entstanden, konnten Künstler ohne Angst vor Zensur ihre persönlichen Befindlichkeiten zum Ausdruck bringen. So umfasst das fotografische Werk von Hartzsch etwa 5.000 Aufnahmen, wobei ein großer Teil niemals auf Fotopapier belichtet wurde. Die Basis der experimentellen Fotoserien und Super 8 Filme bilden seine bislang vollkommen unbekannten literarischen Texte; sie sind in gewisser Hinsicht visualisierte Literaturstücke.

Mit der demokratischen Wende und dem staatlichen Ende der DDR im September 1990 findet das fotografische und filmische Schaffen von Erich W. Hartzsch seinen Abschluss. Der Malerei und Grafik ist er nach diesem entscheidenden Wendepunkt allerdings treu geblieben.

Maria Falkinger-Hörtner, OÖ Landes-Kultur GmbH
Email: maria.falkinger-hoertner@ooelkg.at
Tel: 0732.7720-52540

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