Demokratie-Enquete: Expert:innen und Abgeordnete loten Handlungsbedarf in Österreich aus

Austausch demokratiepolitischer Bestandsaufnahmen und Reformvorschläge im Bundesrat

Im letzten Panel der heutigen Bundesrats-Enquete „Demokratie braucht Zukunft – Brücken bauen, Demokratie stärken“ widmeten sich Expert:innen dem konkreten Handlungsbedarf für Österreich. So unterstrich Herwig Hösele, Bundesratspräsident a.D., die Bedeutung des Bundesrats selbst für die österreichische Demokratie. Manfred Matzka, ehemaliger Sektionschef im Bundeskanzleramt, plädierte für „pragmatische Reformschritte“, etwa durch die Stärkung der parlamentarischen Kontrolle staatsnaher Unternehmen. Frauke Petry, ehemaliges Mitglied des Deutschen Bundestags, kritisierte den aus ihrer Sicht zunehmenden Eingriff staatlicher Institutionen in die freie Meinungsbildung und betonte die Relevanz von Rede- und Versammlungsfreiheit als „Abwehrrechte mündiger Bürger“. Martina Handler von CoCreating Future schlug zur Stärkung der Demokratie die Institutionalisierung neuer Partizipationsformen wie Bürger:innenräte vor, in denen die Beteiligten sich als wirksame politische Akteure erleben könnten.

Anschließend erörterten die Vorsitzenden der Bundesratsfraktionen ihre Perspektiven auf die Verfasstheit des demokratischen Systems in Österreich. In seinen Schlussworten betonte Bundesratspräsident Franz Ebner die Bedeutung der Einbeziehung unterschiedlichster Blickwinkel, um die Zukunft einer funktionalen Demokratie zu gewährleisten

HÖSELE: FÖDERALISMUS STÄRKT RESILIENZ DEMOKRATISCHER SYSTEME

Die Bedeutung des Bundesrats selbst für die Demokratie unterstrich dessen ehemaliger Präsident, Herwig Hösele. Die Sinnhaftigkeit der Länderkammer unter den Vorwänden „scheinbarer Effizienzsteigerungen und Einsparungsmöglichkeiten“ in Frage zu stellen, sei eine „plumpe Simplifizierung“. Föderalistisch verfasste Systeme seien gegenüber zentralistischen laut Hösele bürgernäher und resilienter. Subsidiarität und Regionalität trügen wesentlich zur Stärkung des Vertrauens in die Demokratie bei. Um der Erosion dieses Vertrauens entgegenzuwirken, schlug Hösele vor, unabhängige Qualitätsmedien gezielt zu fördern, die politische Bildung im Sinne des lebenslangen Lernens auszubauen und die Möglichkeiten zur Bürger:innenbeteiligung – auch unter Nutzung digitaler Wege – zu erweitern.

MATZKA PLÄDIERT FÜR „KONKRETE UND PRAGMATISCHE“ REFORMKONZEPTE

Die demokratiepolitische Diskussion fokussiere sich in Österreich sehr stark auf den Ausbau direkt-demokratischer Instrumente, konstatierte Manfred Matzka. Deren Konzept stoße jedoch an seine Grenzen, da es die Menschen nicht wirklich „mitreißt“, wie zahlreich gescheiterte Initiativen demonstrierten. Auch zu große Erwartungen in die Medien seien zu dämpfen. Ihrer demokratischen Funktion stehe ihre Orientierung an „Klickzahlen“ entgegen.

Auch Matzka wartete eher mit „konkreten und pragmatischen“ Reformkonzepten auf. So plädierte er unter anderem für eine Stärkung des Parlaments – insbesondere bei der Kontrolle ausgegliederter Einrichtungen und staatsnaher Unternehmen – sowie für mehr Wertschätzung für den „professionellen Beamtenapparat“ und kritisierte die Aufblähung von Kabinetten als „Parallelverwaltungen“. Weiters regte Matzka an, die Landeshauptleutekonferenz verfassungsrechtlich zu verankern, das Staatsbürgerschaftsrecht zu reformieren und die Beteiligungsmöglichkeiten an der staatlichen Willensbildung auszubauen, indem etwa über soziale Medien Ideen generiert werden könnten.

FRAUKE PETRY BETONT BEDEUTUNG VON BÜRGERRECHTEN UND FREIEM MEINUNGSAUSTAUSCH

Mit dem grundsätzlichen Demokratieverständnis befasste sich Frauke Petry. Die bloße Herrschaft der Mehrheit reiche als Definition nicht aus, wenn man nicht wolle, dass die Demokratie zum „Torso ohne Arme und Beine degradiert“ werde. Petry unterstrich vor allem die Bedeutung der Bürgerrechte, insbesondere der Rede- und Versammlungsfreiheit, die als „Abwehrrechte des mündigen Bürgers gegen den Staat“ in den letzten Jahren vermehrt „unter Beschuss geraten“ seien. Politik und Institutionen maßten sich zunehmend an, zu definieren, was als Wahrheit und was als „Fake News“ zu gelten habe. Abweichenden Meinungen würden als „Hass und Hetze“ diffamiert. Gerade diese Entwicklungen seien jedoch die eigentliche Gefahr für die Demokratie und spalteten die Gesellschaft, wie Petry ausführte.

Dass viele Politiker:innen entgegen diesem Befund etwa Meinungsäußerungen in den sozialen Medien als Bedrohung wahrnehmen würden, zeuge nur von einem fehlenden Vertrauen sowohl in die Bürger:innen als auch in die eigene Überzeugungskraft. Demokratie komme ohne einen wirklich freien, auch kontrovers geführten politischen Meinungsaustausch nicht aus, so Petry.

HANDLER SPRICHT SICH FÜR BÜRGER:INNENRÄTE AUS

Um der gesellschaftlichen Polarisierung und dem Vertrauensverlust in demokratische Institutionen entgegenzuwirken, sprach sich Martina Handler für neue Formen der demokratischen Mitbestimmung aus. Essenziell sei, dass sich die Bürger:innen dabei als wirksame politische Akteure erlebten und die Wirkung ihres Engagements in der Praxis nachvollziehen könnten. Konkret schlug Handler Bürger:innenräte vor, die auch institutionell verankert werden sollten. Per Zufallsverfahren ausgewählte Bürger:innen, die gleichzeitig einen Querschnitt der Bevölkerung abbilden sollen, erarbeiten darin nach Handlers Vorstellung Empfehlungen für die Politik. Diese Räte sollten die repräsentative Demokratie nicht ersetzen, sondern „sinnvoll ergänzen“. Die Beteiligten lernten dabei mit Personen unterschiedlicher Generationen und Milieus wertschätzend in den Dialog zu treten, was das demokratische Miteinander stärke. Gleichzeitig würde dadurch der Respekt vor dem politischen Entscheidungsfindungsprozess steigen, so Handler.

STELLUNGNAHMEN DER FRAKTIONSVORSITZENDEN DES BUNDESRATS

Seitens der Fraktionsvorsitzenden des Bundesrats ging zunächst Harald Himmer (ÖVP/W) auf die konstatierte „Wissenschaftsskepsis“ der Österreicher:innen ein. Unter Bezugnahme auf in den Medien auftretende „Expert:innen“, die etwa politische Debatten im Fernsehen kommentieren, verortete Himmer sich selbst als Skeptiker. Die Meinungsbildung solle den Rezipient:innen selbst überlassen werden. Ähnliches gelte für die politische Bildung in der Schule, in der ein Schwerpunkt auf die Akzeptanz unterschiedlicher Ansichten gelegt werden solle. Hinsichtlich der Kontrollrechte im Rahmen der Gewaltenteilung sprach sich Himmer gegen deren Missbrauch zu Zwecken der „Vernaderung“ bis hin zu „Menschenjagden“ auf Politiker:innen aus.

SPÖ-Fraktionsvorsitzende Korinna Schumann aus Wien unterstrich ebenfalls die Bedeutung politischer Bildung und des Bundesrats, der einen wesentlichen Teil der österreichischen Demokratie darstelle. Wichtig sei auch die Durchsetzung demokratischer Mitbestimmungsrechte am Arbeitsplatz, etwa in Form von Betriebsräten. Deren Gründung werde oftmals „hintertrieben“, was laut Schumann gesetzlich unterbunden werden müsse. Besorgnis äußerte sie über den Einfluss von Social-Media-Plattformen und Algorithmen auf die politische Meinungsbildung.

Aktuelle politische Entwicklungen trügen nicht gerade dazu bei, Zweifel an der demokratischen Verfasstheit Österreichs zu entkräften, verwies Andreas Arthur Spanring (FPÖ/St) auf die Vergabe des Regierungsbildungsauftrags an die ÖVP durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Viele Menschen fühlten sich von der Politik nicht mehr gehört, was die Demokratie schwäche und die Gesellschaft spalte. Dies liege auch an der „regelrechten Zerstörung“ des öffentlichen Diskurses in den letzten Jahren, durch die Diffamierung von Menschen als „Corona-Leugner“, „Klima-Leugner“ oder „Putin-Versteher“. Die Meinungsfreiheit sei jedoch das „Herzstück der Demokratie“ und es gelte, diese auch so zu leben, dass die Menschen wieder Vertrauen in ihre Institutionen gewinnen würden, so Spanring.

Ein weiteres Plädoyer für den Bundesrat hielt Marco Schreuder (Grüne/W). Für ihn stellt die Länderkammer eine der wesentlichen Säulen des österreichischen Systems aus „Checks an Blances“ dar. Ideen zur Weiterentwicklung dieses Systems könnten durchaus auch in Bürger:innenräten erarbeitet werden. Hinsichtlich der sozialen Medien zeigte sich Schreuder insbesondere darüber besorgt, dass teilweise eine Person alleine entscheide, welche Inhalte Milliarden von Menschen gezeigt würden. Wenn Social-Media-Plattformen als Medien wirkten, müssten sie auch an deren Maßstäben, wie der journalistischen Sorgfaltspflicht, gemessen werden, sagte Schreuder. (Schluss Enquete) wit

HINWEIS: Fotos von der Enquete des Bundesrats sowie eine Nachschau auf vergangene Veranstaltungen finden Sie im Webportal des Parlaments. Die Enquete des Bundesrats wurde live in der Mediathek des Parlaments übertragen und ist dort als Video-on-Demand abrufbar.

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