Sozialausschuss befasst sich mit Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen

Bericht der Behindertenanwaltschaft zeigt Anstieg an Fällen im Jahr 2023

Die Behindertenanwaltschaft beschäftigte sich im Jahr 2023 mit 10 % mehr Diskriminierungsfällen von Menschen mit Behinderungen als im Vorjahr. 784 Fälle wurden 2023 verzeichnet, 2022 waren es 715. Das geht aus dem Jahresbericht der Behindertenanwaltschaft hervor (III-101 d.B.), den der Sozialausschuss heute einstimmig zur Kenntnis nahm.

Die meisten Akten betrafen das Alltagsleben (121) und die Arbeitswelt (93). Auch die telefonischen Anfragen nahmen zu. Rückläufig waren die Schlichtungsverfahren, in denen die Behindertenanwaltschaft Betroffene als Vertrauensperson begleitete (2023: 28, 2022: 43). Behindertenanwältin Christine Steger ortete insgesamt Verbesserungsbedarf beim Zugang zum Recht für Menschen mit Behinderungen.

MENSCHEN MIT BEHINDERUNGEN SCHEUEN OFT SCHLICHTUNGSVERFAHREN

Thema im Ausschuss war unter anderem, dass Menschen mit Behinderungen nur in wenigen Fällen die Möglichkeit von Schlichtungsverfahren beim Sozialministeriumservice in Anspruch nehmen. 2024 sei es zwar gelungen, die Zahlen auf erstmals über 400 fast zu verdoppeln, bei der Beschlussfassung des Gesetzes 2005 sei man aber von 1.000 Schlichtungsverfahren pro Jahr ausgegangen, erklärte Behindertenanwältin Christine Steger. Nun liege man im 19. Jahr bei insgesamt nur 4.900.

Dass sich Menschen mit Behinderungen oft davor scheuten, dieses Instrument in Anspruch zu nehmen, hat Steger zufolge verschiedene Gründe. So werde bei einem Schlichtungsverfahren im Sozialministeriumservice – anders als etwa im Bereich der Gleichbehandlungsanwaltschaft – nicht festgestellt, dass eine Diskriminierung stattgefunden habe. Als Ziel sei vielmehr definiert, zu einer Einigung zu kommen. Auch werde das Diskriminierungsgeschehen von der anderen Seite oft in Abrede gestellt, was für Betroffene, die die Diskriminierungssituation schildern müssten, mühsam sei. Zumal es zum Beispiel um Themen wie Belästigung gehe.

Unternehmen würden zum Teil auch mit einem Anwaltsstab zum Schlichtungsverfahren kommen und das Verfahren nicht als Mediation, sondern als vorgelagertes Gerichtsverfahren betrachten, während Betroffene meist keinen Beistand bzw. nur eine Vertrauensperson dabei hätten, schilderte Steger. Hier herrsche keine „Waffengleichheit“. Auch fehle Menschen mit Behinderungen oft die Energie für ein Schlichtungsverfahren. Vielfach sei auch die Anreise in die Hauptstadt eine große Hürde. Auffallend ist Steger zufolge überdies, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Menschen mit psychosozialen Einschränkungen wenig bis gar nicht „schlichten“.

PROBLEM ZUSTÄNDIGKEIT

Auch generell ortet Steger Verbesserungsbedarf beim Zugang zum Recht für Menschen mit Behinderungen. Die Behindertenanwaltschaft bekomme viele Anrufe von Menschen, die ihr Anliegen schon mehreren Stellen geschildert haben, wo sie die – zumeist korrekte – Antwort bekommen hätten, dass man nicht zuständig sei. Für Betroffene sei es oft schwer zu verstehen, welche die richtige Anlaufstelle sei. Steger bemüht sich daher, sich mit anderen Stellen – etwa den Antidiskriminierungsstellen der Länder – besser zu vernetzen.

Auch bei der Behindertenanwaltschaft landen laut Steger immer wieder Beschwerden, für die man nicht zuständig sei. Das betreffe häufig etwa verwaltungsrechtliche Verfahren, in denen der Grad der Behinderung festgestellt werde. Menschen würden sich dabei oft schlecht behandelt fühlen, dabei handle es sich aber um keine Diskriminierung im Sinne des Gesetzes. Man könne in verwaltungsrechtliche Verfahren nicht mit Schlichtungen „hineingrätschen“. Den Betroffenen dann zu sagen, dass die Einspruchsfrist gegen einen Bescheid abgelaufen sei, sei nicht einfach.

Ähnliches gelte für Beschwerden über fehlende Behindertenparkplätze, wo die Behindertenanwaltschaft nichts machen könne, weil sie die Länder betreffen. Im Falle einer Diskriminierung von Schüler:innen sei die Bildungsdirektion zuständig, betreffe die Diskriminierung die Eltern, könnten sich diese an die Behindertenanwaltschaft wenden.

EINRICHTUNG VON REGIONALSTELLEN ZEIGT BEREITS WIRKUNG

Positiv wirkt sich Steger zufolge die Einrichtung von Regionalstellen der Behindertenanwaltschaft in Salzburg und Graz aus. So habe man heuer mehr Fälle in Salzburg zu verzeichnen als im gesamten letzten Jahr. Auch in der Steiermark seien die Zahlen deutlich gestiegen.

Was konkrete Fälle aus der Praxis betrifft, berichtete Steger von mehreren Beschwerden über neu errichtete Lokale, die zum Beispiel keine barrierefreie Toilette haben. Die Betreiber:innen seien dabei oft überrascht, weil sie davon ausgegangen seien, dass der Architekt das ordnungsgemäß geplant habe. Hier bräuchte es eine klare Regelung über die Gewerbeordnung bzw. über die Betriebsstättengenehmigung. Derzeit gebe es in den Ländern sehr unterschiedliche Vorgaben, auch die Baubehörden würden unterschiedlich agieren.

Im Bildungsbereich hängt es Steger zufolge nicht zuletzt von Fahrtendiensten ab, ob ein inklusiver Kindergartenbesuch bzw. Schulbesuch möglich sei. Zudem gebe es in Regelschulen zwar oft Nachmittagsbetreuung, aber Kinder mit Behinderungen seien häufig ausgenommen. Auch hält sie es für problematisch, dass Schüler:innen nur in Bundesschulen – also erst nach dem 10. Lebensjahr – Anspruch auf persönliche Assistenz haben.

Ein großes Anliegen sei den Betroffenen außerdem eine einzige Anlaufstelle. Die Behindertenanwaltschaft habe ganz viele Anfragen von Eltern, die mit ihrem Kind jedes Jahr zu bis zu vier verschiedenen Stellen fahren müssten, wo geprüft werde, inwieweit die Behinderung noch gegeben sei, schilderte Steger. Das stelle eine große Belastung dar.

Mit ihren Ausführungen antwortete Steger auf Fragen von Dagmar Belakowitsch (FPÖ), Verena Nussbaum (SPÖ), Ralph Schallmeiner (Grüne), Fiona Fiedler (NEOS), Johannes Gasser (NEOS) und Heike Eder (ÖVP), wobei Steger und ihr Team viel Lob von den Abgeordneten erhielten. Die Behindertenanwaltschaft sei eine unverzichtbare Institution, sagte etwa Eder. Auch Sozialministerin Korinna Schumann bedankte sich bei Christine Steger und ihrer Stellvertreterin sowie bei den Beschäftigten des Sozialministeriumservice und den Behindertenvertrauenspersonen in den Betrieben für deren Arbeit.

FPÖ-Abgeordnete Belakowitsch mahnte Sozialministerin Korinna Schumann, dass man beim Vorhaben „Lohn statt Taschengeld“ für Menschen mit Behinderungen säumig sei. (Fortsetzung Sozialausschuss) gs/kar

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