TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel vom 8. August 2020 von Peter Nindler – „Vergessen wir ja nicht Jörg Haider.“

Innsbruck (OTS) – Politische und wirtschaftliche Macht suchen sich. Der Skandal um die burgenländische Commerzialbank bringt wieder einmal die Politik in Erklärungsnotstand. Eine Ampel für Anstand und Abstand wäre dort ebenfalls notwendig.

Macht zieht Macht an, die politische die wirtschaftliche und umgekehrt. Und nach dem Kriminalfall im Burgenland werfen jetzt SPÖ und ÖVP einander gegenseitig vor, in dunkle Netzwerke und Machenschaften rund um die Skandalbank verstrickt zu sein. Es ist ein Offenbarungseid, den die Politik hier schonungslos ablegt. Als ob die freiheitliche Ibiza-Affäre nicht schon genug Schaden in Österreich angerichtet hätte. Aber bitte vergessen wir nicht den einstigen Übervater der FPÖ, Jörg Haider, der mit der Kärntner Hypo Alpe Adria beinahe ein Bundesland in den Ruin getrieben hätte. Für seine politische Großmannssucht zog er Spielgeld aus der Bank ab, der Steuerzahler musste dafür die Zeche zahlen.
Warum ist das alles möglich? Ganz einfach: Weil Politiker und (vermeintliche) Wirtschaftsmagnaten oft eng miteinander verstrickt sind und sich durch diese Beziehungsgeflechte Standortvorteile erwarten. Jeder in seinem Metier. Selbst die Grünen sind davor nicht gefeit, wie die Affäre um den langjährigen grünen Wiener Gemeinderat Christoph Chorherr wegen Spenden von Immobilieninvestoren an einen von ihm gegründeten Verein gezeigt hat.
40 Jahre sind seit dem damals als aufsehenerregend empfundenen Appell von Bundespräsident Rudolf Kirchschläger vergangen, der wegen des Wiener AKH-Skandals verlangt hat, die Sümpfe und sauren Wiesen im Land trockenzulegen. Seine Mahnung ist danach leider rasch versickert. Abstand, Anstand und Sauberkeit in der Politik werden nämlich immer wieder eingemottet.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wollte nach seinem Wahlsieg 2017 Öster-
reich neu aufstellen, die politische Moral hat er auf seiner Agenda offenbar völlig vergessen. Warum lässt der in Europa mitunter zu Recht gefeierte Vertreter einer neuen Politikergeneration das alles zu? Warum dürfen seine Günstlinge die Postenbeschreibungen für ihre beabsichtigten Karrieresprünge selbst verfassen? Warum der Herr über alle Staatsbeteiligungen der Republik Thomas Schmid trotz zig Affären weiterhin im Amt ist, weiß wohl nur Kurz selbst. Von den Casino-Netzwerken ganz zu schweigen.
Viel wird derzeit über Hygienevorschriften, Abstand sowie Mund-und-Nasenschutz diskutiert, um der Ausbreitung des Coronavirus in Österreich keine Chance zu geben. Auch in der Politik wäre eine Ampel notwendig. Damit sie sich nicht stets vom Virus undurchsichtiger Machenschaften anstecken lässt und dann selbst Teil davon wird.

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